Frühstück mit Kängurus
ausgraben oder so was, doch dann sagte er, er hätte einen Ned-Kelly-Tag für uns geplant. Stolz wie Oskar, dass Kelly aus diesem Teil Victorias kam, wollte er mir einige der Stellen zeigen, an denen sich das kurze, gewalttätige Leben des Banditen abgespielt hat. Na, das klang ja schon besser.
Es ist eine interessante Tatsache, die auch ohne jeden Zweifel viel über die Australier aussagt, dass sie nie einen Helden aus den Reihen der Gesetzeshüter hervorbrachten, wie die Amerikaner Wyatt Earp oder Bat Masterson. Australische Volkshelden sind böse Jungs vom Typ Billy the Kid, heißen bushranger, und der berühmteste von allen ist Ned Kelly.
Seine Geschichte ist rasch erzählt. Er war ein mordwütiger Geselle, verdiente gehenkt zu werden und wurde es auch. Er kam aus einer Familie rauer irischer Siedler, die ihren Lebensunterhalt mit Viehdiebstahl und Überfällen auf unschuldige Reisende verdienten. Wie die meisten Banditen achtete Ned peinlichst genau darauf, als Rächer der Enterbten aufzutreten. Doch sein Charakter wie auch seine Taten waren ungetrübt von jedwedem Edelmut. Er ermordete mehrere Menschen, oft kaltblütig und manchmal aus keinem sehr guten Grund.
Nach Jahren auf der Flucht hie ß es 1880, Kelly habe sich mit seiner kleinen Gang (einem Bruder und zwei Freunden) in Glenrowan verschanzt, einem D ö rfchen in den Ausl ä ufern der Warby Range in Nordost-Victoria. Die Polizei erfuhr es, stellte einen gro ß en Suchtrupp zusammen und machte sich auf, Kelly zu fangen. Als Ü berraschungsattacke war es kein Meisterst ü ck. Schon als die H ä scher (mit dem Nachmittagszug!) ankamen, mussten sie feststellen, dass ihnen die Nachricht von ihrer Ankunft vorausgeeilt war und tausend Leute an den Stra ß en standen und auf den D ä chern sa ß en und aufgeregt das Schie ß spektakel erwarteten. Die Polizisten bezogen Posten und begannen sofort das Versteck der Banditen mit Kugeln zu durchl ö chern. Die Kellys erwiderten das Feuer, und es ging die ganze Nacht durch. Doch am n ä chsten Morgen trat Kelly w ä hrend einer Gefechtspause aus dem Unterschlupf, ü berraschenderweise, um nicht zu sagen, groteskerweise, in eine selbstfabrizierte R ü stung gekleidet, einen schweren zylindrischen Helm, der aussah wie ein umgedrehter Eimer, und einen Brustharnisch, der Oberk ö rper und Unterleib bedeckte. Von da ab nach unten war er unbewehrt, sodass ihm ein Polizist ins Bein schie ß en konnte. Betr ü bt schleppte sich Kelly in einen nahe gelegenen Wald, fiel hin und wurde gefangen genommen. Man brachte ihn nach Melbourne, machte ihm den Prozess und henkte ihn. Seine letzten Worten lauteten: » So ist das im Leben. «
Heute ist Glenrowan eine Stadt mit einer Stra ß e, ein paar Kneipen, ein paar H ä usern und einigen L ä den, die sich der Aufgabe widmen, ein bisschen Kasse mit der KellyLegende zu machen. An diesem hei ß en Sommertag waren einschlie ß lich Alans, Carmens und mir ungef ä hr ein Dutzend Menschen in der Stadt. Der gr öß te Laden mit dem Namen Ned Kelly's Last Stand (Ned Kelly's letztes Gefecht) war mit selbst gemalten Schildern zugepappt. » Das hier ist kein Ort f ü r Weicheier « , versicherte eines, und ein anderes r ä sonierte: » Es ist vollkommen absurd, wenn Sie zehn bis zwanzig Minuten damit verbringen, Fotos zu machen, die Stra ß e auf und ab zu laufen und ein paar Souvenirs zu kaufen, und dann die Dreistigkeit besitzen, Ihren Freunden zu erz ä hlen: >Fahrt nicht nach Glenrowans, da gibt's nichts zu sehen.< Die meisten Besucher Glenrowans w ü rden, ehrlich gesagt, gar nicht merken, wenn ihnen das ö ffentliche Schei ß haus auf den Kopf fiele ... «
Bei genauerem Hinsehen stellte sich heraus, dass Ned Kelly's Last Stand eine Art elektronisches Puppentheater beherbergte. Alan, Carmel und ich warfen uns einen fr ö hlichen Blick zu und wussten: Das war was f ü r uns. Innen sa ß ein freundlicher Herr an der Kasse, doch als er f ü r den Eintritt f ü nfzehn Dollar pro Nase verlangte, waren wir gelinde schockiert.
» Ist es wirklich gut? « , fragte Howe.
» Mister « , sagte der Mann zutiefst aufrichtig, » das ist wie in Disneyland da drin. «
Wir kauften uns Eintrittskarten und trotteten durch eine T ü r in einen tr ü be beleuchteten Raum, in der das Spektakel beginnen sollte. Der Raum war eingerichtet wie ein alter Salon. In der Mitte standen B ä nke f ü r das Publikum. Vor uns in der tiefen D ü sternis konnten wir nur die Umrisse von M ö beln und sitzenden
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