Frühstück mit Kängurus
luftiges Reich f ü hren wollte. Er hatte einen gepflegten grauen Bart, die drahtige Gestalt und den in die Ferne schweifenden Blick eines Mannes, dessen Welt die freie Natur ist. Wir trafen uns in der kleinen Stadt Mount Beauty, wo wir in einen Gel ä ndewagen umstiegen und ü ber einen langen, kurvenreichen Weg auf den Mount Bogong, mit eintausendneunhundertundsechsundachtzig Metern den h ö chsten Gipfel Victorias fuhren. Ich fragte Ron, ob der Berg nach den ber ü hmten Bogong-Schmetterlingen benannt sei, die jedes Fr ü hjahr explosionsartig in riesigen Mengen auftreten und ein, zwei Tage ü berall herumflattern. Zusammen mit den dicken, fetten Witchetty-Raupen und den langen, schleimigen Mangrovenw ü rmern bilden sie die Delikatessen auf dem Speiseplan der Aborigines, ü ber die sich Chronisten am meisten auslassen - nat ü rlich deshalb, weil sie westlichen Gaumen so wenig munden. Die Bogongs werden in hei ß er Asche ger ö stet und dann ganz gefuttert, hatte ich geh ö rt.
Ron best ä tigte, dass die Schmetterlinge von hier kamen.
» Und die Aborigines essen sie wirklich? «
» Ja klar - jedenfalls traditionell. Ein Bogong-Schmetterling besteht zu f ü nfundachtzig Prozent aus Fett, und da die Aborigines nie viel Fett kriegten, war es ein ziemlicher Leckerbissen f ü r sie. Sie sind von weither gekommen. « » Haben Sie schon mal einen gegessen? «
» Einmal. «
» Und? «
» Das hat gereicht. « Er l ä chelte.
» Wonach hat er geschmeckt? «
Er dachte einen Moment nach. » Nach Schmetterling. «
Ich grinste. » Ich hab gelesen, sie schmecken ein wenig nach Butter. «
» Nein, nein. Sie schmecken nach Schmetterling. «
Wir fuhren durch dichte Gruppen erstaunlich gro ß er, wundersch ö ner B ä ume bergauf. Bergeschen, sagte Ron.
» Alle Achtung. Ich wusste gar nicht, dass Sie hier Eschen haben. «
» Haben wir auch nicht. Es sind Eukalyptusb ä ume. K ö nigseukalyptus. «
Ü berrascht schaute ich noch einmal hin. Alles an diesen B ä umen - der lange, gerade Stamm, die H ö he, das ü ppige Laub - stand in krassem Gegensatz zu den skelettartigen Eukalypten im Flachland. Die Eukalyptusb ä ume haben wirklich alle ö kologischen Nischen in Australien besetzt. Einen anpassungsf ä higeren Baum gibt es nicht.
» Nach den kalifornischen Redwoods ist das der h ö chste Baum « , fuhr Ron mit einem Nicken zu den K ö nigseukalypten fort, was mir nat ü rlich noch mehr Respekt abn ö tigte.
» Wie hoch werden sie? «
» Bis zu neunzig Metern. Im Durchschnitt sechzig. « Ein f ü nfundzwanzigst ö ckiger Wolkenkratzer ist neunzig Meter hoch. Nicht schlecht, die B ä ume.
» Haben Sie hier viele Buschfeuer? «
Ron nickte traurig. » Ja, schon. 1985 haben wir in diesem Teil der Great Dividing Range f ü nfhunderttausend Hektar verloren. «
»Oje«, bemerkte ich, obwohl mir die Zahl nicht viel sagte. (Nachher schaute ich in einem Buch nach und entdeckte, dass fünfhunderttausend Hektar die Fläche sind, die die Nationalparks Yosemite, Grand Teton, Zion und Redwood zusammen ausmachen. In anderen Worten, es war eine Naturkatastrophe, deren Ausmaße woanders unvorstellbar wäre. Ich schaute auch im New York Times Index nach, um zu sehen, wie ausführlich man davon berichtet hatte. Überhaupt nicht.) Doch selbst ohne, dass ich recht verstand, wie viel fünfhunderttausend Hektar sind, wusste ich, dass es viel war, und ich erwiderte höflich: »Das muss ja schrecklich gewesen sein.«
Wieder nickte Ron. »Ja, das stimmt«, sagte er.
Durch eine Zone mit Schneeeukalypten - noch so eine flexible Eukalyptusart - erreichten wir eine sonnige Welt sanft gewellter, ganz mit hellem Gras und moosigen Alpenpflanzen bedeckter Hochebenen, die weite Ausblicke auf entfernte Gipfel boten. Hier nun tummelten sich die Besucher, mit dem federnden Schritt und dem praktischen Outfit des ernsthaften Wanderers. Jedes Mal, wenn wir einer Gruppe begegneten, fuhr Ron langsamer, rief. »Tach auch« und fragte, ob sie alle Informationen hätten, die sie brauchten. Ja, hatten sie immer, doch es war wirklich eine ungewöhnlich freundliche Geste des Willkommens.
Wir verbrachten einen herrlichen Tag. Manchmal liefen wir ein bisschen, meist fuhren wir mit dem Auto. Ron kannte jedes Blatt, jede Blüte, jedes Insekt und freute sich offenbar aufrichtig, all die geheimen Ecken des Parks herzuzeigen. Wir holperten über zugewachsene Wege, durch Wiesentäler, und jagten fast senkrechte Schotterpisten zu verborgenen Feuermeldern hoch. An
Weitere Kostenlose Bücher