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Frühstück um sechs

Frühstück um sechs

Titel: Frühstück um sechs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Scott
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in allen anderen Punkten hatte ich im Geist ihr Bild geradezu niederschmetternd falsch gezeichnet.
    Und genauso falsch hatte ich mir den Laden vorgestellt. Ich hatte schon Schilderungen solcher Dorfläden gehört und erwartete ein wahres Glanzstück wilder Unordnung, ein Chaos von Waren wie bei einem Ramschverkauf auf kleinen Jahrmärkten, und dazwischen eine zwar fette, aber liebenswerte und ganz witzige Madam mit dem Watschelgang einer Ente.
    Statt dessen fand ich hier einen tadellos geordneten, vor Sauberkeit blitzenden Laden, wo alle Waren deutlich mit Preisen ausgezeichnet waren und offenbar ganz nette Umsätze getätigt wurden. Durch einen Türrahmen, über dem ein Schild mit der Aufschrift >Postkontor< hing, kam man in einen kleinen Alkoven, der ebenso sauber und übersichtlich war wie der Laden. Keinerlei spezifisch dörfliche Merkmale.
    Und hier paßte Tantchen vollkommen hinein. Sie kam, als wir den Laden betraten, gerade aus ihrer >Post<. Eine Frau in mittleren Jahren, modern und adrett gekleidet, schlank, in aufrechter Haltung. In ihrem klargeschnittenen, ein wenig adlerhaften Gesicht fand ich einen Zug liebenswürdiger Verschmitztheit. Peinlicherweise muß ich sie ganz verblüfft angeglotzt haben. Ich drehte mich stumm fragend zu Paul um. Konnte das Tantchen sein? Wenn es zutraf, fiel mir bei ihm der völlige Mangel neffenhafter Vertraulichkeit auf.
    Paul benahm sich hier höflicher und aufmerksamer als zu seinen Gästen bei dem nachträglichen Polterabend.
    »Miss Adams, darf ich Ihnen meine Frau vorstellen?« sagte er.
    Ihr Händedruck war fest, ihr Blick zugleich forschend und freundlich. Ich hatte das Gefühl, daß sie mich sofort richtig einschätze und auch spürte, daß mir noch ein gewisser Schreck in den Gliedern saß, denn sie lächelte klug.
    »Ich bin ein Reinfall wie? Und der Laden auch«, sagte sie. »Er hätte viel malerischer sein müssen, nicht wahr, ein herrlich gemütlicher Wirrwarr, wo die Säuglingsflaschen in den Gummistiefeln stecken und so weiter? Tut mir ja leid, aber ich kann Unordnung nicht vertragen.«
    Ihre schöne Stimme setzte mich völlig matt. Zweifellos war sie das, was Mutter trotz unserer Proteste immerfort als für das uns wünschenswerte Ziel hingestellt hatte: eine Lady. Ich murmelte nur vor Verlegenheit, deren Grund sie sofort erraten hatte. Ich tat ihr leid. In ihrer freundlichen Art, die sie, wie ich später erfuhr, niemandem versagte, fuhr sie gleich fort:
    »Und Ihr Gatte hat Sie natürlich irregeführt, wie? Ich kenne diese Knaben: Die bilden sich ein, sie könnten mich durch ihre höflichen Redensarten täuschen, aber ich weiß ganz genau, daß sie mich hinter meinem Rücken >Tantchen< nennen — manchmal auch direkt, die frechen Wichte -, und jeder Fremde glaubt dann selbstverständlich, hier eine nette, aber schmutzige alte Frau zu finden, die ihre Nase in alles steckt und jeden bemuttern will.«
    Jetzt war ich die Lachende. Paul war hübsch rotbraun im Gesicht geworden und stammelte, jeder hätte doch einen Spitznamen, der nur ein Zeichen der Zuneigung sei. Mir schien, als hätte Miss Adams, die ich gut beobachtete, ihm vorzüglich Kontra gegeben. Sie gehörte zu den Menschen, an die man sich unwillkürlich wendet, wenn man in Nöten ist. Ich hätte mich vor ihr lieber als von allen anderen mir bekannten Frauen bemuttern lassen — vorausgesetzt, daß sie mich leiden konnte. Und ich nahm mir schon jetzt vor, sie, wenn irgend möglich, dazu zu bringen, daß sie mich mochte.
    Wir nahmen unsere Post, die wohlgeordnet in Fächern lag, in Empfang. Die Posthalterin warf keinen Blick auf die Briefe. Nichts von dem brennenden Interesse, wie ich’s mir eingebildet hatte. Sie las meine Gedanken — was sie, wie ich noch erfahren sollte, immer konnte — und sagte freundlich:
    »So ganz Unrecht hatten Sie mit Ihren Vorstellungen doch nicht. Als ich das Haus hier übernahm, sah es genauso aus wie in Ihrer Phantasie. Ein liebenswerter, aber sehr beschränkter Postmeister saß hier, der nie die Außenstände kassierte. Sein Laden war ganz in den Händen der Grossisten. Er pflegte sich regelmäßig zu betrinken und brachte dann sämtliche Postsachen durcheinander. Aber, Sie werden’s kaum glauben: Er war im ganzen Bezirk beliebt. Als er starb — im Delirium tremens —, wurde ein erheblicher Betrag gesammelt und ihm davon auf dem Friedhof von Te Rimu ein prachtvoller Grabstein gesetzt. Nein, Mrs. Russell, Sie brauchen nicht zu denken, daß Sie ganz falsch getippt

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