Frühstück um sechs
was zu essen geben, ihn dann laufen lassen und keinem Menschen ein Wort sagen. — Pst, er kommt!«
Ich hatte noch nie einen entflohenen Gefangenen gesehen. Er sah genau aus wie gewöhnliche Menschen, freilich unordentlich, Hosen und Pullover waren sehr staubig. Das Motorrad sahen wir nicht, er hatte es am Tor gelassen. Er war höflich und ganz kühl — aber vielleicht nur, weil er wußte, daß unsere Männer fort waren? Seltsamerweise wurde ich gar nicht nervös.
Er fing an: »Guten Abend. Ob ich wohl hier...«
Wie ein Blitz unterbrach ihn Larry: »Ja, gewiß, nur sprechen Sie kein Wort, nicht eins. Ich weiß über Sie genau Bescheid. Das heißt, wir wissen beide Bescheid.«
Der junge Mann blickte uns erschrocken an. Sicher hatte er nicht geglaubt, daß die Polizei ihm schon so dicht auf den Fersen war. Er versuchte wieder zu sprechen, doch Larry fiel ihm abermals ins Wort. Sie war sehr energisch und tat ganz geheimnisvoll, und ich merkte, daß sie ungeheuren Spaß an der Sache hatte. Sie forderte den Mann auf zu warten, bis sie ihm Essen geholt hätte. Er versuchte abzulehnen, was ich anständig fand, weil ich glaubte, er wolle uns nicht in Konflikte bringen. Doch Larry schob seine Einwände beiseite. Ehe ich bis zehn zählen konnte, hatte sie dem Widerstrebenden einen Laib Brot, Butter und Fleisch in die Hände gedrückt.
»Stecken Sie das in diesen Beutel, und den werfen Sie weg, wenn Sie’s aufgegessen haben — oder verbrennen Sie ihn lieber. Nein, sprechen Sie nicht, die können jede Minute kommen, dann kann ich wenigstens ehrlich behaupten, daß Sie mit mir nicht gesprochen haben. Hier haben Sie noch eine alte Decke. Und viel Glück! Fahren Sie auf Deubel komm ‘raus!«
Völlig verblüfft wollte er sich entfernen, da schrillte das Telefon, scharf und anhaltend. Larry legte einen Finger auf den Mund. »Verduften Sie rasch, ich muß hören, wer am Apparat ist.« Sie ging hin.
Der junge Mann aus Borstal war ein kaltblütiger Knabe. Er versteckte sich nicht, sondern blieb glatt stehen, wo er war und glotzte mich an. Wie versteinert, dachte ich. Da er mir schrecklich leid tat, flüsterte ich: »Hoffentlich kommen Sie gut durch.«
»Ist wohl besser, ich verschwinde. Ist sie...? Ich meine...«
Ich wußte nicht, was er meinte, aber nach seinem Gesicht zu urteilen, glaubte er wohl, Larry sei nicht ganz bei Trost. Wahrscheinlich war er selten freundlich behandelt worden, so daß dieser unerwartete Empfang ihn maßlos erschreckte.
Ich hörte Larry am Telefon sagen: »Habe nichts beobachtet, nicht das mindeste. All right, ich gebe Ihnen dann Bescheid.«
Ja, sie waren ihm auf der Spur! Larry kam sofort wieder.
»Es wurde angefragt, ob wir einen Fremden gesehen oder ein Motorrad gehört hätten. Man wollte mir gerade Einzelheiten erklären, doch ich habe ich aufgehängt; viel besser, man weiß gar nichts. Nun verduften Sie aber, bevor die Verfolger kommen und Sie entdecken!«
Jetzt konnte er gar nicht schnell genug wegkommen. Ein paarmal drehte er sich noch um, als sei er nun doch nervös geworden. Kaum war er außer Sicht und das Klopfen seines Motors in der Abendstille verklungen, da ließ Larry sich in einen Sessel fallen.
»So — was kümmern mich der Colonel und die ganze Polizei! Jedenfalls haben wir dem erschöpften Mann auf den Weg geholfen, und darüber bin ich froh.«
»Und ich auch. Aber er kam mir so komisch vor, nicht gerade sehr dankbar.«
»Oh, auf Dankbarkeit habe ich nicht gerechnet«, behauptete Larry großspurig. »Mußt bedenken, daß der Mensch, wenn er weiß, daß alle gegen ihn sind, die feineren Gefühle verliert. Hauptsache ist, daß wir weder ihn noch uns selbst in eine Klemme gebracht und sogar noch geholfen haben.«
»Ich bin neugierig, was Paul und Sam sagen werden«, bemerkte ich nachdenklich, aber gerade in dem Augenblick läutete das Telefon. Ich eilte hin, in der Hoffnung, von unseren Männern zu hören, doch es war Miss Adams aus dem Laden.
»Guten Abend, Mrs. Russell. Kommen Sie nicht heute zum geselligen Abend? Es ist freilich für Sie ein weiter Weg. Ich frage mich, ob die Sache überhaupt stattfinden kann. Sie wissen ja, daß es sich um die Begrüßung des Geistlichen handelt, und der ist bisher noch nicht eingetroffen. Ich habe gerade Mrs. Lee gefragt, ob sie ihn nicht gesehen hätte, aber sie war in großer Eile und hängte gleich ab.«
In meinem Gehirn schlug eine Taste an, ich stieß einen stöhnenden Laut aus, und ein tolles Verlangen zu kichern ergriff
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