Frühstück um sechs
einen Saum vom Mieder an den Halsausschnitt heftete. Ich wollte mehr über Onkel Richard hören. Den Schaden konnte ich später wieder ausgleichen.
»Weißt du, er ist ganz reizend, aber in mancher Beziehung fällt er mir auf die Nerven. Ein tadelloser Geschäftsmann und furchtbar großzügig. Aber er hat einen gräßlich schlechten Geschmack und verlangt für sein Geld das Äußerste, wenn er ein Geschenk einkauft. Als ich größer wurde, pflegte er mir Modellkleider zu schenken — einfach scheußliche Dinger, sage ich dir. In Farbe und Schnitt für mich völlig ungeeignet. Und dabei wollte er immer sehen, daß ich sie trug. >Was hast du denn mit dem Mantel gemacht, den ich dir vorigen Monat geschenkt habe?< hieß es dann. Ein entsetzliches Stück mit grünen und gelben Streifen. Kannst du dir vorstellen, Susan, wie ich in Grün und Gelb aussehe?«
Der Schlitz schien mir absolut nicht glücken zu wollen, deshalb sagte ich bissig, sie sähe darin wahrscheinlich viel besser aus als in dieser Schöpfung, und wie sie eigentlich dazu käme, das Halsstück mit einer Seitennaht zu verbinden. Gänzlich ungerührt — denn nichts ließ sie kühler, als wenn jemand mit Fug und Recht ärgerlich wurde — sagte sie nur, ein bißchen komisch sei ihr das ja vorgekommen, aber der Mensch könnte sich doch auch mal versehen.
Bis zwei Uhr mittags war der Rockteil im wesentlichen geschafft, und Larry war so vergnügt und aufgeregt wie ein Kind, das einem Zauberkünstler zuschaut. Das Oberteil verlangte allerlei komplizierte Kunstgriffe, doch beim Stehen und Anprobieren war sie geduldig, und wir waren beide ganz zufrieden mit unserer Leistung, als plötzlich Maus ein schauerliches Gebell losließ und Mick in wilder Aufregung hinter ihr her zum Tor raste.
Larry, nur mit dem Mieder des neuen Kleides und dem leichtesten Unterzeug angetan, schritt seelenruhig zur Tür.
»Natürlich liegt gar kein Grund zum Bellen vor. Sie langweilen sich nur, die armen Tiere. Könnten sie jetzt, da du ja mit dem Zuschneiden fertig bist, nicht hereinkommen? Sie wollen doch immer überall unbedingt dabeisein und werden ja auch keinen Schaden anrichten, weil...«
Ich sollte ihre weiteren Argumente zugunsten zweier Hunde, die sie in einem Meer von blauem Taft herumplätschern lassen wollte, nicht mehr hören, denn sie stieß erschrocken einen quietschenden Schrei aus, sprang zurück und schloß sehr leise die Tür von innen.
»Die Millars!« rief sie. »Kommen eben im Gänsemarsch die Steigung ‘rauf. Er sieht genauso aus wie ein hungriger Bluthund. Was fällt denen bloß ein, wo ich ihnen extra gesagt habe...«
Ich erhob mich rasch von der Nähmaschine und sagte vorwurfsvoll: »Du hast ihnen doch gesagt, ich litte noch unter der Nachwirkung von Influenza!«
»Weiß ich. Wollen machen, daß wir ‘rauskommen, sie müssen gleich hiersein. Ach, mit dir das ist ja nicht so wichtig, denn der Mensch kann oft schneller gesund werden, als zu erwarten war. Aber ich —ich bin doch angeblich in der Stadt! Ich verschwinde — und wenn sie dich abfassen, brauchst du ihnen bloß zu sagen, das käme davon, wenn man den Leuten nicht glaubt, was sie einem erzählen.«
Über diese Logik war ich einfach platt, wollte aber keinesfalls einfach zurückbleiben. Vielleicht stachelte Pauls Bemerkung, daß Larry mich um den Finger wickeln könnte, mich noch auf, jedenfalls meuterte ich sofort und fauchte wütend: »Gar nichts werde ich denen erzählen! Ich werde in deinem Schlafzimmer bleiben.«
Aus dem Flur hörte ich ihr verrücktes Gekicher. »Das würde ich lieber nicht tun. Die Leute haben schon lange den Verdacht, Sam und ich hätten getrennte Schlafzimmer, und jetzt hat Mr. Millar die Chance, das festzustellen. Vor dem bist du nirgends sicher, höchstens in der Toilette, und selbst da kann man nie wissen... Tschüs!«
Und schon war sie, ohne sich auch nur einen Mantel umzuhängen, in ihrem ungewöhnlichen Aufzug durch die Hintertür verschwunden. Ich warf einen Blick aus dem Fenster. Die Besucher waren schon dicht beim Hause. Kam ja gar nicht in Frage, daß ich mich bei andern Leuten in der Toilette versteckte, schließlich gab’s ja noch ein Badezimmer. Das hatte eine Tür nach der Diele und eine zur Veranda, und diese zwei Türen hielt ich — welcher Irrtum! — für einen Vorteil.
Geräuschlos schlüpfte ich hinein, wurde aber ein bißchen kleinlaut, als ich feststellte, daß die Tür, wie alle anderen wichtigen Türen im Hause Lee, keinen Schlüssel hatte.
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