Fuchsjagd
zugedröhnte Tusse und ihre Fratzen nicht auf den Geist gehen? Doch es machte sie misstrauisch. Die Kinder, blond und blauäugig, ängstliche kleine Klone ihrer Mutter, hockten meistens im Dreck unter Fox' Bus und passten auf, während die Mutter ziellos von Fahrzeug zu Fahrzeug wanderte und um Stoff bettelte. Bella fragte sich, wie oft sie den Kindern Tranquilizer verpasste, um sie ruhig zu stellen. Allzu oft nur, vermutete sie. Die Lethargie der Kinder war nicht normal.
Natürlich taten sie ihr Leid. Sie bezeichnete sich gern als »Sozialhelferin«, weil sie und ihre Töchter überall, wo sie mit ihrem Bus kampierten, die Hilflosen und die Verlassenen anzogen. Ihr batteriebetriebenes Fernsehgerät lockte die Leute ebenso an wie Bellas großzügige Art, die es einem leicht machte, sich bei ihr wohl zu fühlen. Aber als sie ihre kleinen Mädchen losschickte, mit den beiden Jungen Freundschaft zu schließen, rannten diese in Windeseile davon.
Sie versuchte, mit der Frau ins Gespräch zu kommen, indem sie ihr anbot, einen Joint mit ihr zu teilen, aber es brachte nichts. Allen ihren Fragen begegnete die Frau mit Schweigen oder Unverständnis, nur einmal stimmte sie Bella trübsinnig zu, als diese sagte, das Schwierigste beim dauernden Herumziehen sei der Schulbesuch der Kinder. »Wolfie geht gern in die Bibliothek«, sagte das ausgemergelte Ding, als verstünde es sich von selbst, dass Bella wusste, wovon sie sprach.
»Welcher von den beiden ist denn Wolfie?«, fragte Bella.
»Der, der seinem Vater nachschlägt – der Gescheite«, antwortete sie, ehe sie sich aufmachte, ihre Bettelrunde fortzusetzen.
Das Thema Schule kam erneut zur Sprache, als man am Montagabend in großer Runde und ganz entspannt vor Bellas pink-lila angemaltem Bus lag. »Ich würde dieses Leben gleich morgen hinschmeißen«, sagte Bella träumerisch, den Blick zum sternübersäten Himmel und zum Mond jenseits des Wassers erhoben. »Ich brauch nichts weiter als ein Haus mit Garten, das nicht in einer beschissenen Sozialsiedlung mitten in einer beschissenen Stadt voller Krimineller steht. Hier in der Gegend wär's mir recht – ein netter, anständiger Ort, wo meine Kinder zur Schule gehen können, ohne dass sie mir von irgendwelchen Schweinen, die höchstens eine Verbrecherkarriere vor sich haben, verdorben werden – mehr verlang ich gar nicht.«
»Deine Kleinen sind zum Anbeißen, Bella«, sagte eine sinnende Stimme. »Die werden so oder so verdorben werden, sobald du mal nicht hinschaust.«
»Als ob ich das nicht wüsste! Dem ersten Kerl, der's versucht, schneid ich den Schwanz ab, so wahr ich hier liege.«
Ein leises Lachen tönte von der Ecke des Busses herüber, wo Fox im Schatten stand. »Da wird's schon zu spät sein«, murmelte er. »Du musst jetzt was tun. Vorbeugung ist die beste Medizin.«
»Und was bitte?«
Er löste sich aus dem Schatten und blieb mit gespreizten Beinen über ihr stehen, so dass seine groß gewachsene Gestalt den Mond verdeckte. »Ganz einfach: Du erhebst gemäß dem Gesetz über Ersitzungsbesitz Anspruch auf ein Stück herrenloses Land und baust dir selbst ein Haus.«
Sie blickte mit zusammengekniffenen Augen zu ihm hinauf. »Wovon zum Teufel redest du da?«
Seine Zähne blitzten auf, als er kurz lächelte. »Vom großen Los«, antwortete er.
3
Lower Croft, Coomb Farm, Herefordshire – 28. August 2001
Nancy Smith war vor achtundzwanzig Jahren im Schlafzimmer ihrer Mutter geboren worden, was für damalige Zeiten durchaus ungewöhnlich war. Dies hatte aber nichts damit zu tun, dass Nancys Mutter ihrer Zeit voraus war und sich auf die Vorzüge einer Hausgeburt besann. Elizabeth Lockyer-Fox, eine lebenshungrige und zutiefst verwirrte Halbwüchsige, hatte sich in den ersten sechs Monaten ihrer Schwangerschaft halb zu Tode gehungert, und als das den Spuk in ihrem Leib nicht umbrachte, war sie aus dem Internat abgehauen und hatte ihre Mutter inständig gebeten, ihr zu helfen. Wer würde sie mit einem unehelichen Kind denn noch heiraten wollen?
Die Frage schien damals durchaus berechtigt zu sein – Elizabeth war gerade siebzehn Jahre alt –, und die Familie schloss sich zusammen, um den guten Ruf des jungen Mädchens zu schützen. Die Lockyer-Fox' waren eine alte Soldatenfamilie, deren Männer dem Vaterland vom Krimkrieg bis zum Koreakrieg mit Auszeichnung gedient hatten. Da ein Schwangerschaftsabbruch wegen Elizabeths fortgeschrittener Schwangerschaft nicht mehr in Frage kam, blieb als einzige Möglichkeit
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