Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
Carpenter stieß unwillkürlich einen überraschten Schrei aus, als sie ihr Gesicht sah. Sie sah genauso aus wie Tanni in ihrem Alter, ganz genauso.
»Ist es so, wie du es in Erinnerung hast, Bubbie?«
Mrs. Zayman sah sich in Crowmarsh Priors um. »Das da ist neu«, sagte sie zu ihren Enkeln und zeigte auf die Wohnanlage hinter dem Wirtshaus, »aber sonst hat sich nicht viel verändert, glaube ich.« Schweißperlen waren auf ihrer Oberlippe zu sehen und sie blickte sich nach dem Taxi um, so als hätte sie es sich anders überlegt und wollte gleich wieder einsteigen und wegfahren. »Wisst ihr«, murmelte sie halb zu sich selbst, halb an ihre Enkelkinder gewandt, »an manches kann ich mich ganz deutlich erinnern. An Evangeline im Garten und all das Gemüse, das sie anbaute, denNähkorb neben meinem Stuhl in der Küche, an Elsie und ihre Giftvorräte, an Alice, die auf dem Weg zur Schule vorbeiradelte, an Frances, die ihre Uniform der landwirtschaftlichen Helferinnen nicht leiden konnte. Doch an andere Dinge kann ich mich überhaupt nicht erinnern. Ich weiß nicht, wie es war, als ich Crowmarsh Priors verlassen habe. Aber der Krieg war … im Sanatorium haben sie mir gesagt, dass ich mich ausruhen und mir keine Sorgen machen soll, dass Gedächtnisverlust ein Mittel der Natur ist, um uns zu schützen. Also gibt es sicherlich vieles, wovon ich euch nichts erzählen kann. Nun ja«, sagte sie und zuckte die Schultern, »ich denke, es ist mittlerweile egal. Elsie!«, rief sie, als Lady Carpenter auf sie zukam, ihre Hände ergriff und »Tanni!« rief.
Die Ankunft des Taxis hatte Katie überrumpelt, doch nun winkte sie rasch dem Kameramann, damit er die ersten Augenblicke des Wiedersehens einfing. Wenn das nicht auf die Tränendrüsen drückte! »Es ist so weit«, flüsterte der Kameramann dem Toningenieur zu, »Taschentücher raus!«
Die beiden Frauen hielten sich bei den Händen und sahen sich einen Augenblick lang an. Dann beugten sie sich mit steifen Gelenken vor und umarmten sich.
»Oh, Tanni! Wie lang haben wir uns nicht gesehen!«
»Elsie, meine Liebe!« Sie wiegten sich ein wenig hin und her. Unsicher traten die Teenager einen Schritt zurück. Der Taxifahrer holte einen Koffer und zwei Rucksäcke aus dem Kofferraum und fuhr davon.
»Gerade erleben wir die Ankunft der zweiten Kriegsbraut«, vertraute Katie der Kamera an. »Dies ist Antoinette Zayman mit zweien ihrer Enkelkinder, Shifra und Chaim, die aus Israel angereist sind. Unmittelbar vor dem Krieg heiratete sie Bruno Zayman, den bedeutenden Historiker, und kam mit ihm nach England. Leider lässt der Gesundheitszustand von Professor Zayman die lange Reise von Israel hierher nach Crowmarsh Priors nicht zu, daher begleiten Mrs. Zayman zwei ihrer – lassen Sie mich überlegen – zwölf Enkelkinder. Wir werden nun ein paar Worte mit den Damen wechseln.«
Albert Hawthorne tippte seiner Begleiterin auf die Schulter. »Was ist denn, Opa?«, fragte sie und sah von ihrem Buch auf. Mit einem zittrigen Finger zeigte er auf das andere Ende des Dorfangers. »Sie waren beide noch Mädchen, als sie herkamen, dünne kleine Dinger, damals, als der Krieg anfing. Standen da mit riesigen Augen und fürchteten sich zu Tode. Es war Mrs. Fairfax, die sie hergebracht hat. Hat sich überall eingemischt, diese Frau.«
In diesem Moment öffnete sich auf der gegenüberliegenden Seite des Dorfangers eine Holztür. Sie war in die Gartenmauer eingelassen, die das Princess-Elizabeth-Genesungsheim umgab. Das Haus selbst wurde von Feuerleitern und hässlichen Doppelglasfenstern verschandelt, doch die Mauer bestand noch aus den alten Ziegeln, die im Laufe der Zeit einen sanften Farbton angenommen hatten. Eine schlanke Gestalt in einem roten Kleid mit farblich passendem Hut schlüpfte hindurch und ließ die Tür achtlos hinter sich zufallen.
Katie wirbelte herum. »Und hier haben wir die dritte Kriegsbraut, Mrs. Evangeline Fairfax, eine Amerikanerin, die einen britischen Marineoffizier heiratete, den sie vor dem Krieg in den Staaten kennenlernte. Sie kommt gerade aus dem Genesungsheim herüber. Vor dem Krieg war es … wohnte dort …« Katie warf einen Blick in ihre Notizen, konnte aber die richtige Stelle nicht finden. »Jemand aus dem Dorf …«, ergänzte sie lahm. »Heute werden dort frühere Armeeangehörige und ihre Ehepartner betreut …«
Mrs. Fairfax trug einen großen Strohhut mit Kirschen an der Krempe, die bei jedem Schritt wild auf und ab hüpften. Von Nahem sah
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