Fuenf Frauen, der Krieg und die Liebe
sagte Violet und steckte sich den Finger in den Mund.
Draußen war eine Glocke zu hören und ein Karren rumpelte durch die Straße.
»Aber ich wünscht, wir hätten ’n paar Würstchen«, sagte Dick, der immer Hunger hatte. Die anderen nickten.
Mum blickte auf. »Zeit für die Kartoffeln zu kochen. Agnes, du hack das bisschen Kohl klein, was von gestern übrig ist. Die Glocke, das wird der Katzenfleischmann sein. Ich hol uns ’n paar Stücke, bevor dass die Katzen alles kriegen. Wir brauchen was zum Aufmuntern. Die essen wir mit Zwiebelsoße. Und wir haben noch Senfpulver – ’n bisschen Senf ist jetzt genau richtig. Elsie, du mischst den Senf.«
»Nein, bei Elsie wird er klumpig, Mum.«
Mrs. Pigeon seufzte müde. »Elsie, wickel dir ’n Handtuch um und häng die Wäsche auf die Leine. Jem hat keine trocknen Windeln mehr.« Sie knotete ihr Kopftuch auf, nachdem sie einen kostbaren Schilling von dem Mietgeld herausgeklaubt hatte, das dort versteckt war, und band es sich dann wieder fest um die Stirn.
Draußen auf der Straße steckte Penelope Fairfax ihren Hut wieder fest und biss sich frustriert auf die Lippen. Sie hatte höchstpersönlich mehr als einmal bei Mrs. Pigeon vorgesprochen. Schließlich hatten die Nachbarn der Frau gefragt »Und was sagen die Pigeons dazu, Missus?« und weigerten sich, ihre Kinder evakuieren zu lassen, solang diese Frage nicht beantwortet war.
Bei dem Gedanken an die Pigeons zog Penelope die Nase kraus. Der Gestank in dem Haus war schrecklich gewesen, der Mief, den die kochende Schmierseife erzeugte, hatte ihn kaum überdecken können. Diese beiden mageren kleinen Jungen hatten die Krätze, da war sie sich ganz sicher. Der Husten des Mädchens hörte sich gar nicht gut an und Penelope war erleichtert gewesen, dass Mrs. Pigeon sie nicht hereingebeten hatte. Das eine Mädchen, das Violet hieß, war ja ganz hübsch. Schöne Augen hatte sie. Ungewöhnlich, so ein Kind in der North Street zu sehen. Wahrscheinlich hatte sie den Kopf voller Läuse, wie die anderen. Oder sie hatte Würmer. Oder beides.
Und eine endlose Reihe solcher Kinder mussten aus Städten im ganzen Land evakuiert werden, während die Organisationen, die die Unterbringung koordinierten, bei Weitem nicht genügend Plätze für alle hatten. Penelope dachte mit schlechtem Gewissen an ihr eigenes geräumiges Haus in Crowmarsh Priors. Ihrem Sohn Richard und der lieben Alice hätte sie es nur allzu gern überlassen. Dann wäre sie nach London gezogen. Doch als Evangeline – was für ein Name! – so plötzlich auftauchte, hatte sie sich verpflichtet gefühlt, auf dem Land zu bleiben und ihr dabei zu helfen, sich einzuleben. Schließlich war das Mädchen schwanger gewesen. Aber es erwies sich als unmöglich, im selben Haus mit ihrer Schwiegertochter zu leben. Ihre Lethargie war ihr auf die Nerven gegangen.Allerdings hatte sie auch nicht viel für die Vorstellung übrig, es Kindern wie denen der Pigeon-Familie zu überlassen. Der bloße Gedanke daran, wie sie sich zwischen den Chintzbezügen und den Antiquitäten austobten, jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Sie beglückwünschte sich, dass sie so vorausschauend gewesen war, das ausländische Mädchen und ihr Baby letzte Woche mit dem Zug hinzuschicken. Nun konnte sie, falls die Behörden von ihrem Haus erfuhren, mit Fug und Recht behaupten, dass Evangeline alle Hände voll zu tun hatte mit den Evakuierten.
Penelope achtete nicht auf das Schlapp-schlapp der Filzpantoffeln hinter ihr auf dem Bürgersteig, bis eine Hand ihren Arm packte. Eine atemlose Mrs. Pigeon, der die Sorge ins Gesicht gegraben schien, keuchte: »Eh, Missus, ich wollt nicht fragen vor den Kindern, aber was wird aus ihnen in diesem Eva-Soundso da? Ich weiß nicht, was ’s Beste ist, wo ihr Vater nur Gelegenheitsarbeit macht, unten an den Docks, wegen seinem Bein, und die zwei Großen, die können doch ihre Arbeit nicht drangeben, aber ich seh nicht, wie ich sie hierlassen soll, dass sie allein zurechtkommen, sind ja nur Jungs, und dann ist meine älteste Tochter, die’s grad fünfzehn, und sie in dem Alter alleinlassen, ohne ihre Mutter, das ist auch nicht recht.«
Penelope seufzte. »Mrs. Pigeon, wie ich Ihnen schon gesagt habe, ist die Regierung unbedingt der Ansicht, dass Kinder außerhalb von London sicherer aufgehoben sind. Wie ich Ihnen erklärt habe, sammeln sie sich in ihren Schulen und jede Klasse wird von Lehrern begleitet, wenn sie aus London zu den Unterkünften gebracht
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