Fünf Schlösser
unerwartet ein Sohn geboren wurde. Den Unmut darüber zu bezwingen war ihm (dem Vetter) nicht gegeben, und als er gleichzeitig seine pekuniären Bedrängnisse wachsen sah, ersann er sich das Märchen, daß der spätgeborne Sohn des alten Liebenberger Freiherrn in Wahrheit ein Enkel desselben, und zwar der älteste Sohn Alexandrinens von Danckelmann, sei. Mit andern Worten also ein untergeschobenes Kind, untergeschoben einzig und allein in der Absicht, ihm, dem Vetter, ein ihm zustehendes Erbe zu entreißen. Ein solches Märchen erzählt und weiterverbreitet zu sehn war an und für sich schon schlimm genug; aber der »Häsener« ging weiter und wußte seinem Übelwollen auch praktische Folgen zu geben, indem er Gelder aufnahm, und zwar unter beständigem Hinweis darauf, »daß ihm, aller Machinationen und Intrigen unerachtet, über kurz oder lang das Liebenberger Erbe doch zufallen müsse«. Dies schuf Ärgernis über Ärgernis, auch wohl Sorgen, und bedrohte den alten Herrn genau in den zwei Stücken, in denen er am empfindlichsten war: in seinem Vermögen und seiner Ehre. »Der tolle Mensch von Häsen«, so schreibt er, »ist wieder in voller Bewegung. Unter der Hand wendet er sich nach Münster und Cleve und versichert, daß er alleiniger Herr meiner Güter sei. Die , an die er schreibt, erkundigen sich bei mir, ob es in des Briefschreibers Kopfe richtig stehe? Sie wollen aber nicht genannt sein. Sonst hätt ich den Narren schon längst beim Kammergericht provoziert.« Und an anderer Stelle: »Der tolle Mensch in Häsen, der seit sieben Monaten in Berlin auf Kredit lebt, fängt wieder an zu rasen. Vor acht Tagen hat er mir einige Bogen voll Unsinn geschrieben, um etwas aus mir herauszulocken, was seine Prozeßlust reizen könnte. Ich hab ihm aber kurz, kalt und überhaupt so geantwortet, daß er den Brief keinem Gerichtshofe vorlegen wird.«
Äußerungen ähnlicher Art kehren an vielen Stellen wieder, und wenn er schließlich auch dieser unbequemen Stechbremse Herr wurde, so geschah es doch erst, nachdem ihn die Stiche derselben aufs empfindlichste verletzt hatten.
Um ebendiese Zeit zog auch noch ein neues Ärgernis herauf, und zwar der Prozeß, der gegen die Giftmischerin Geheimerätin Ursinus geführt wurde. Die Hertefelds waren in zurückliegenden Jahren mit dieser Frau bekannt geworden, nicht eigentlich intim, aber doch so, daß der alte Freiherr über sie schreiben konnte. »Wenn Frau Geheimrätin Ursinus zu mir kommt, so soll es mir angenehm sein. Denn obgleich sie sich mit ihrer Geschwätzigkeit ziemlich lächerlich macht, so kenne ich sie doch als eine Frau, bei der das Gute überwiegt .« Und nun war ebendiese Frau wegen denkbar schwerster Verbrechen angeklagt. Auch nur in einem alleroberflächlichsten Verkehr mit ihr gestanden zu haben mußte peinlich empfunden werden, und durch Jahr und Tag hin ist nun der »Ursinus-Fall« ein immer wiederkehrendes und mit einer gewissen Gêne behandeltes Briefthema. »Die Geschichte mit der Ursinus«, so heißt es im April 1803, »ist leider so garstig wie nur möglich. Ich weiß jetzt, daß sie schon früher (in Stendal) in dem Rufe stand, zu mausen. Der von seiner Vergiftung wiederhergestellte Bediente soll darüber allerlei Kuriosa ausgesagt haben.« Und im Oktober desselben Jahres: »Daß die Ursinus auf Lebenszeit eingesteckt wird, wirst Du wissen... Was dieses garstige Weib, außer dem Erwiesenen, auch noch an andrem abscheulichen Verdachte gegen sich hat, ist kaum zu glauben.« Und dann: »Über der Ursinus' Dreistigkeit kann ich mich nicht genug wundern. Wie kann sie's nur wagen, anständige Personen um ihren Besuch zu bitten, alles bloß, um ihnen etwas von ihrer Unschuld vorzuklagen? Um Versuche zu machen, habe sie das Gift gegeben. So sagt sie. Gut; aber warum hat sie nicht allerpersönlichst eine Unze Gift genommen? Das wäre das weitaus Beste gewesen.« Und endlich (am 16. März 1804): »Die Ursinus war überall und auch bei mir vergessen. Vorgestern hab ich mich ihrer wieder erinnern müssen, als ich aus der ›Hamburger Zeitung‹ ihre Abführung nach Glatz ersah. Sie hatte, wie Du wissen wirst, appelliert. Das Urteil ist aber einfach bestätigt worden, und sie hat nun ausgespielt.«
Das sind die letzten Worte, die sich über diese »cause célèbre« finden.
Die Geheimrätin hatte viel Ärgernis mit sich geführt, fast soviel wie der »Vetter in Häsen«, aber trotz dieser und ähnlicher Zwischenfälle waren es im ganzen doch glückliche Tage, diese
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