Fünf Wochen im Ballon
nach West-Nordwesten. Fergusson betrachtete einige Augenblicke nachdenklich den im soporösen Schlafe daliegenden Priester.
»Könnten wir doch diesen Begleiter, den der Himmel uns geschickt hat, erhalten! sagte der Jäger. Hast Du Hoffnung?
– Ja, Dick! bei der gehörigen Pflege und in dieser so reinen Luft ist es vielleicht möglich.
– Wie muß dieser Mann gelitten haben! sagte Joe bewegt; er hat Kühneres als wir gethan, indem er sich allein unter diese wilden Horden begab.
– Daran ist kein Zweifel«, stimmte der Jäger bei.
Der Doctor ordnete an, daß der Schlaf des Unglücklichen den ganzen Tag über nicht gestört werden sollte; es war ein lethargisches Hindämmern, das ab und zu von einem dumpfen Stöhnen unterbrochen wurde. Fergusson konnte sich ängstlicher Besorgnisse nicht erwehren.
Gegen Abend blieb der Victoria in der Dunkelheit auf einem Fleck stehen, und Joe und Kennedy lösten sich bei dem Kranken ab, während Fergusson für die Sicherheit Aller wachte.
Am andern Morgen war der Victoria kaum ein wenig in der Richtung nach Westen weitergegangen; es schien ein klarer, herrlicher Tag werden zu wollen. Der Missionar rief seine neuen Freunde mit etwas stärkerer Stimme heran. Man zog die Vorhänge des Zeltes zurück, und er athmete mit Behagen die frische Morgenluft ein.
»Wie befinden Sie sich? fragte Fergusson.
– Vielleicht besser, antwortete er; aber Euch, meine Freunde, habe ich bis jetzt erst im Traume gesehen! Kaum kann ich mir von dem, was vorgegangen, Rechenschaft ablegen! Wer seid Ihr, damit ich Eurer in meinem letzten Gebet gedenken kann?
– Wir sind englische Reisende, antwortete Samuel; wir haben den Versuch gemacht, Afrika im Ballon zu bereisen, und während unserer Fahrt das Glück gehabt, Sie zu retten.
– Die Wissenschaft hat ihre Helden, sagte der Missionar.
– Aber die Religion ihre Märtyrer, versetzte der Schotte.
– Sie sind Missionar? fragte der Doctor.
– Ich bin ein Missionsprediger der Lazaristen. Gott hat Euch mir gesandt, er sei dafür gepriesen! Das Opfer meines Lebens war gebracht! – Aber Ihr kommt von dem heimatlichen Erdtheil, erzählt mir, bitte, von Europa, von Frankreich! Ich bin seit fünf Jahren ohne jede Nachricht.
– Fünf Jahre sind Sie allein unter diesen Wilden gewesen? rief Kennedy.
– Es sind heilsbedürftige Seelen, sagte der junge Priester, Barbaren und unwissende Mitbrüder, welche die Religion allein zu unterrichten und zu civilisiren vermag.«
Samuel Fergusson erzählte lange, um dem Wunsche des Missionars zu entsprechen, von Frankreich.
Dieser hörte ihm begierig zu, und Thränen entströmten seinen Augen. Der arme junge Mann nahm abwechselnd Kennedy’s und Joe’s Hände in die seinigen, die von Fieberhitze brannten; der Doctor bereitete ihm einige Tassen Thee, die er mit sichtlichem Wohlbehagen trank; er hatte jetzt so viel Kraft, sich ein wenig aufzurichten und zu lächeln, als er sich in diese so reine Himmelsluft emporgetragen sah.
»Ihr seid kühne Reisende, sagte er, und Euer gewagtes Unternehmen wird Euch gelingen; Ihr werdet Eure Verwandten, Eure Freunde, Euer Vaterland wiedersehen! …«
Die Schwäche des jungen Missionars wurde wieder so groß, daß er sich von Neuem niederlegen mußte; Fergusson hielt ihn einige Stunden wie todt in den Armen. Er konnte seine Rührung nicht beherrschen, als er fühlte, wie dies Leben entrann; sollten sie so schnell ihn, den sie der Todesstrafe entrissen hatten, wieder verlieren? Er verband abermals die entsetzlichen Wunden des Märtyrers und mußte den größten Theil seines Wasservorraths opfern, um die armen, fieberheißen Glieder zu erfrischen. Er widmete dem Kranken die zärtlichste, einsichtsvollste Pflege, und unter seinen Händen kam derselbe allmälig wieder zu sich und gewann die Besinnung, wenn nicht das Leben wieder.
Aus den abgebrochenen Worten des Geistlichen entnahm der Doctor seine Geschichte.
»Sprechen Sie in Ihrer Muttersprache, hatte er zu ihm gesagt, ich verstehe sie, und es wird weniger angreifend für Sie sein.«
Der Missionar war ein armer junger Mann aus Aradon, einem Dorfe in der Bretagne im Departement Morbihan; seine Neigung zog ihn schon früh zum kirchlichen Beruf. Mit einem Leben der Entsagung wollte er noch das Leben der Gefahr verbinden und trat in den Orden der Missionspriester ein, dessen ruhmreicher Stifter Vincenz de Paula war; im Alter von zwanzig Jahren verließ er sein Vaterland, um es mit den ungastlichen Küsten Afrikas zu
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