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Fünf

Fünf

Titel: Fünf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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«Muss ein Stein gewesen sein.»
    «Ja, an Steinen herrscht hier kein Mangel.» Mit einer kurzen Bewegung der Pistole forderte Sigart sie auf weiterzugehen.
    Beatrice rappelte sich hoch. Es waren nur noch ein paar Schritte bis zu ihrem Ziel. Die letzte Chance – wenn sie sich noch einmal fallen ließ, hangabwärts, und Sigart dabei mitriss, wenn sie an die Pistole kommen könnte …
    Er musste ihre Absicht gespürt haben. «Meine Waffe zielt genau auf Ihren Rücken», sagte er unvermittelt. «Wenn Sie sich jetzt umdrehen, schieße ich. Es ist keine leere Drohung, Beatrice. Ich bringe die Sache zu Ende.»
    Sein ernster Ton ließ sie ihre Pläne verwerfen. Ein Schritt, noch einer. Der Holzverschlag lag direkt vor ihr, und sie roch die modrige Luft. Vier weitere Schritte, und sie berührte das grobe Holz. In einem plötzlichen Entschluss drückte sie ihre blutende Hand dagegen. Es war eine schnelle, schwungvolle Bewegung, mehr konnte sie nicht tun. Sie hoffte, dass man das Zeichen erkennen würde, sie selbst vermied es, den Strahl ihrer Taschenlampe darauf zu richten, sie würde sich hüten, Sigarts Aufmerksamkeit darauf zu lenken.
    Um in den Verschlag treten zu können, musste sie sich bücken. Der Deckel war bereits angehoben, der Brunnen selbst kaum mehr als ein rundes, gemauertes Loch mit einem kniehohen Rand. «Steigen Sie die ersten zwei Eisen hinunter», befahl Sigart, «dann geben Sie mir die Taschenlampe.» Die Mündung seiner Pistole zielte nun direkt auf ihr Gesicht.
    Sie tat, was er sagte, drängte die Angst zurück und schärfte ihre Sinne. Wenn sie sich jedes Detail der Brunnenwand einprägte, jede Stelle, an der sie Halt finden konnte, dann musste es möglich sein, wieder hinaufzuklettern. Wenn sie es bis zu den Steigeisen schaffte, würde sie sich selbst befreien können.
    Beatrice hielt sich am Rand fest, trat auf das erste Eisen. Rostig und schief. Das zweite. Sie reichte Sigart die Taschenlampe. «Leuchten Sie mir?»
    «Selbstverständlich.»
    Das dritte. Nun ragte ihr Kopf nicht mehr über den Brunnenrand hinaus. Der Geruch nach Keller und Schimmel hüllte sie ganz ein.
    Das vierte Steigeisen. Eine halbe Armlänge weiter links entdeckte Beatrice einen Stein, der aus der Brunnenmauer hervorstand, an dem würde sie sich zusätzlich festhalten können. Gut.
    Das nächste Eisen und das nächste. Dann das letzte. Obwohl Sigart ihr immer noch leuchtete, war es schwierig geworden, Details zu erkennen. Der Schatten, den sie selbst warf, verdunkelte den halben Brunnenschacht.
    «Von dort aus müssen Sie springen.» Sigart war nur noch eine Silhouette hinter dem Strahl der Taschenlampe.
    Sie hatte vorher gewusst, was auf sie zukommen würde, es sich aber völlig anders vorgestellt. Unter ihr lag ein dunkler, enger Schlund, der zwei Meter tief, aber ebenso gut bodenlos sein konnte. Sie zögerte.
    «Unten ist Wasser. Sie werden sich nicht verletzen.»
    Er muss einmal ein guter Tierarzt gewesen sein, dachte Beatrice verschwommen, er hat diesen Ton, es ist leicht, ihm zu vertrauen.
    Trotzdem sprang sie nicht, sondern umfasste das letzte Tritteisen mit beiden Händen und ließ sich vorsichtig hinunter. Ja, da war Wasser, sie hing bis zu den Knöcheln darin.
    «Sie müssen loslassen.» Sigarts Stimme hallte durch den Brunnenschacht, gefolgt von einem unmissverständlichen Klicken. Er hatte die Pistole entsichert.
    Beatrice öffnete ihren Griff und fiel. Das eisige Wasser presste ihr den Atem aus den Lungen, hüllte sie völlig ein, schlug über ihr zusammen.
    Da! Da war Grund unter ihren Füßen, sie stieß sich ab, tauchte wieder auf, sog geräuschvoll die Luft ein.
    «Leben Sie wohl, Beatrice.» Ein langgezogenes Schaben, hoch über ihr. Sigart schloss den Brunnendeckel. Kein Licht mehr, nichts. Nur noch ihr eigener Atem und das Plätschern des Wassers in absoluter Dunkelheit.

[zur Inhaltsübersicht]
    N47°28.275 E013°10.296
     
    Einen Moment lang war Beatrice versucht, ihren Tränen freien Lauf zu lassen, um all das zu beweinen, was sie nie wieder sehen würde – Sonne, Himmel, die Gesichter ihrer Kinder. Doch Weinen kostete Kraft und machte stumpf im Kopf.
    «Das hebst du dir für später auf», sagte sie. Ihre Stimme hallte dumpf von den Brunnenwänden wider, sie hörte sich tröstlich und vernünftig an. Genau das, was sie jetzt brauchte, alle ihre Sinne und ihren Verstand.
    Das Wasser, stellte sie fest, war zu tief, als dass sie hätte stehen können. Wenn sie sich streckte und bis zur Nase

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