Für einen Kuss von Frisco
erhob sich und griff nach seinem Krückstock. „Komm, Tash, wir gehen noch mal ins Wasser und waschen das Eis aus deinem Gesicht.“
Seinen ungeöffneten Riegel warf er im Vorbeigehen in einen Mülleimer. Er starrte ins Wasser, während Tasha sich Hände und Gesicht wusch, und versuchte, nicht über Mia nachzudenken. Doch es gelang ihm nicht. Noch immer schmeckte er sie, spürte er sie in seinen Armen, roch er ihr würziges Parfüm.
In dem kurzen Moment, als er sie geküsst, in diesen unglaublichen paar Minuten, in denen sie in seinen Armen gelegen hatte, hatte er zum ersten Mal seit fünf Jahren sein verletztes Knie vergessen.
Natasha schien das unbehagliche Schweigen zwischen den Erwachsenen nicht aufzufallen. Sie schnatterte fröhlich vor sich hin, redete mal mit Mia, mal mit Frisco, mal mit sich selbst und hüpfte munter um sie herum.
Mia fühlte sich erbärmlich. Sie wusste, dass sie Frisco mit ihrer Zurückweisung verletzt hatte. Wie töricht von ihr, diesen ersten Kuss überhaupt zuzulassen!
Jetzt wünschte sie sich, sie wären mit ihrem Auto zum Strand gefahren, statt zu Fuß zu gehen. Frisco verstand es meisterlich, seine Schmerzen zu überspielen, aber sie konnte daran, wie er sich bewegte und wie er atmete, erkennen, dass ihm das Knie höllisch wehtat.
Für einen kurzen Augenblick schloss sie die Augen. Eigentlich sollte ihr das egal sein, aber das war es nicht. Er war ihr nicht gleichgültig. Ganz und gar nicht.
„Es tut mir leid“, murmelte sie, während Natasha einige Schritte vor ihnen über die Fugen im Pflaster sprang.
Er wandte den Kopf und sah sie durchdringend aus seinen tief dunkelblauen Augen an. „Du meinst das ernst, oder?“
Sie nickte.
„Mir tut es auch leid“, sagte er leise.
„Frisco!“ Natasha schmiss sich aus vollem Lauf gegen ihn und warf ihn fast um.
„Hoppla!“ Er fing sie mit dem linken Arm auf, während er mit dem Stock in der Rechten um sein Gleichgewicht kämpfte. „Was ist los, Tash?“
Die Kleine klammerte sich mit beiden Armen an ihn und presste ihr Gesicht gegen seinen Bauch.
„Tash, was ist denn?“, wiederholte Frisco, doch sie machte keine Anstalten, ihn loszulassen.
Mia ging neben dem Mädchen in die Hocke. „Hat dich etwas erschreckt, Kleines?“
Natasha nickte.
Mia strich ihr die roten Locken aus dem Gesicht. „Was hat dich denn so erschreckt, Süße?“
Tasha hob den Kopf und sah Mia unter Tränen an. „Dwayne!“, flüsterte sie. „Ich habe Dwayne gesehen.“
„Wen?“ Verwirrt sah Mia zu Frisco auf.
„Einer von Sharons ehemaligen Lovern.“ Er nahm Tasha auf den Arm. „Du hast dich bestimmt geirrt. Das war nur jemand, der ihm ähnlich sieht.“
Natasha schüttelte heftig den Kopf. „Ich habe Dwayne gesehen“, wiederholte sie. Die Tränen kullerten ihr über die Wangen, und weil sie heftig schluchzte, war sie kaum zu verstehen. „Ich habe ihn gesehen!“
„Aber weshalb sollte er sich denn hier in San Felipe herumtreiben?“, fragte Frisco die Kleine.
„Weil er Sharon Francisco sucht“, antwortete eine tiefe Männerstimme. „Deshalb treibt er sich hier herum.“
Sofort war Natasha ganz still.
Mia musterte den Mann, der sich vor ihnen aufgebaut hatte. Er war groß – größer und breiter als Frisco, aber dafür deutlich übergewichtig und weniger muskulös. Sein dunkler Anzug war offensichtlich eine Maßanfertigung. Dazu trug er Stiefel aus glänzendem Schlangenleder, ein dunkelgraues Hemd und eine fast schwarze Krawatte. Das volle schwarze Haar fiel ihm in einer Elvis-Tolle in die Stirn. Sein Gesicht mit der Hakennase und den tief liegenden Augen war eindeutig zu aufgedunsen, um attraktiv zu sein.
Er hielt ein Klappmesser in der Hand, das er unaufhörlich auf- und zuspringen ließ und damit ein rhythmisches metallisches Geräusch erzeugte.
„Meine Schwester ist nicht hier“, erklärte Frisco scheinbar gelassen.
Dann spürte Mia seine Hand an ihrer Schulter, und sie wandte den Kopf, um ihn anzusehen. Die Augen unverwandt auf Dwayne und das Messer gerichtet, schob er ihr Natasha zu. „Tretet hinter mich“, murmelte er. „Und dann seht zu, dass ihr wegkommt.“
„Dass Ihre Schwester nicht hier ist, sehe ich selbst“, erwiderte Dwayne. „Aber da Sie in der geschätzten Begleitung ihrer Tochter sind, kennen Sie sicher ihren Aufenthaltsort.“
„Geben Sie mir Ihre Telefonnummer. Ich sage ihr, dass sie Sie anrufen soll.“
Dwayne ließ das Messer wieder aufschnappen, und diesmal behielt er es offen in der Hand.
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