Für immer die Seele (Für-immer-Trilogie) (German Edition)
mich auch noch auf die Suche nach ihnen zu machen, ist bestimmt das Letzte, was ich will.
»Warum kannst du dir nicht mal für einen Moment vorstellen, dass es Dinge gibt, die dein Verstand nicht erfasst?«, fragt sie mich. »Manchmal muss man den Kopf eben ausschalten und nach dem Gefühl gehen, und mein Gefühl sagt mir, dass es hier vor Geistern nur so wimmelt. Außerdem steht es da schwarz auf weiß, also wird es ja wohl jemand nachgeprüft haben.«
Darauf habe ich beim besten Willen keine Antwort und setze mich einfach in Richtung Eingang in Bewegung. Ich weiß, dass Kat mir folgen wird. Sie hält es nicht aus, auch nur eine Minute allein zu sein.
Als wir durch den Torbogen in der Außenmauer gehen, berühre ich mit meinen Fingern den rauen Stein. Die alten Tudor-Gebäude, die Rasenflächen, die Festung – mein Blick wandert von einem zum nächsten, und mich durchfährt ein kalter Schauer, der nichts mit dem kühlen Wind zu tun hat, der uns ins Gesicht bläst.
»Gleich beginnt eine Führung«, sage ich und deute auf einen Wächter in Uniform, der auf einem kleinen Zementpodest steht. »Komm schon. Danach sehen wir uns dann die Juwelen an.«
Mit hängenden Schultern folgt Kat mir hinüber zu der Mauer, wo sich bereits die Leute versammeln.
»Guten Morgen, Ladies and Gentlemen, und willkommen im Tower of London.« Leises Gemurmel aus der Menge, also versucht er es erneut, dieses Mal ein wenig lauter. »Guten Morgen, Ladies and Gentlemen.« Er hält die Hand hinter sein Ohr und beugt sich nach vorn, sodass wir keine andere Wahl haben und alle laut »Guten Morgen« sagen, so als wären wir wieder in der fünften Klasse. Ich seufze. Ich mag keinen Unterricht und auch keine Führungen, wo begeisterte Beteiligung erwartet wird.
Kat stößt mich leicht in die Seite. »Er ist irgendwie süß«, sagt sie und grinst.
Ich sehe ihn mir genauer an, mit seiner ziemlich großen Nase und dem seltsamen Hut. Seine Wangen sind rot vom kühlen Wind und er könnte sich mal wieder rasieren. Er muss mindestens vierzig sein, das ist alt, sogar für Kat. »Ist das dein Ernst? Ich glaube, dir gefällt bloß die Uniform. Und sein Akzent.« Seit wir in England sind, hat Kat sich nämlich mindestens zweimal pro Tag in einen britischen Akzent verknallt – auch bei den seltsamsten Typen.
»Ich freue mich, heute Ihr Guide sein zu dürfen, und hoffe, ich werde Sie gut unterhalten mit einigen der Geschichten, die sich im Laufe von neunhundert Jahren innerhalb dieser Mauern zugetragen haben.«
Ich schaue über ihn hinweg auf die hohen Gebäude aus Glas und Stahl auf der anderen Seite des Flusses. Die modernen Bauwerke ringsumher schmälern die Wirkung der alten Gemäuer, weil sie daran erinnern, dass selbst an diesem Ort von der Vergangenheit nur Steine und Holz geblieben sind, und dass die Menschen, die Teil dieser Vergangenheit waren, längst nicht mehr leben.
Nachdem der Wächter in weniger als einer Minute mehrere Jahrhunderte Geschichte abgehandelt hat, zeigt er auf den Tower Hill drüben bei der U-Bahn-Station, wo wir wenige Minuten zuvor noch gestanden haben. »Stellen Sie sich vor, wie Tausende von Menschen sich dort versammeln und jubeln, während eine arme – oft unschuldige – Seele ihre letzten Worte an die Menge richtet.« Ich stupse Kat an und zeige auf den Reiseführer. Sie wirft mir einen Seitenblick zu, tut aber so, als sei sie ganz vertieft in das, was er erzählt.
»Wenn der Gefangene zu Ende gesprochen hatte, zahlte er dem Henker eine kleine Summe, in der Hoffnung, dass dieser seine Axt möglichst rasch und schmerzlos einsetzen werde. Dadurch entstand, wie wir alle wissen, der Ausdruck« – er macht eine theatralische Pause – »Trennungsgeld.« Er wartet auf eine Reaktion, aber aus der Gruppe kommt nur hier und da ein müdes Kichern. Er grinst. »Und das war mein bester Spruch.«
Diesmal lacht Kat lauthals und erntet ein Lächeln. »Dann legte der Gefangene seinen Kopf auf den Block, die Axt fuhr auf seinen Nacken herab, Knochen knirschten, Blut spritzte und die Tat war vollbracht.« Er ahmt mit seinem Arm die Bewegung der Axt nach, die irgendeinem armen Tropf den Kopf abschlägt, und die Gruppe kichert nervös. »Der Henker nahm den abgeschlagenen Kopf und hielt ihn hoch, damit alle ihn sehen konnten, und sagte: ›Schaut her, das ist der Kopf eines Verräters.‹« Alle schaudern, und einige murmeln ein wenig empört, als er fortfährt: »Und doch hatten sich die meisten der Enthaupteten nichts weiter
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