Für immer die Seele (Für-immer-Trilogie) (German Edition)
Aprilwind zu schützen. »Warum konnte er keine Geschäftsreise nach Hawaii oder Cancún machen, irgendwohin, wo man die Frühjahrsferien gerne verbringt?«
Dass für mich London weit anziehender ist, als in schweißtreibender Hitze an einem Strand zu brüten, wo sich perfekt gebräunte Menschen auf gestreiften Badetüchern mit so wenig Energieaufwand wie möglich von der einen auf die andere Seite und wieder zurück wälzen, brauche ich nicht zu erwähnen. Kat weiß das.
»Was gibt’s denn da drüben zu sehen?«, fragt Kat. »Noch ein Ort, an dem irgendeine Berühmtheit in Stücke gehackt oder vom Bus überrollt wurde?« Etwas abseits des Gehwegs steht eine Gruppe von Leuten und blickt interessiert auf eine kleine bronzene Tafel am Boden. Ich schaue im Reiseführer nach.
»Fast richtig geraten. Die meisten Hinrichtungen fanden tatsächlich vor dem Tower statt, gleich dort drüben.« Ich zeige auf das von kleinen Zementsteinen eingefasste Viereck neben dem Gehweg und lese vor: »Viele Unschuldige wurden an diesem Ort geköpft, unter dem Jubel Tausender Schaulustiger.« Sofort kommt mir die Szene aus meiner Vision wieder in den Sinn und ein Schauer läuft mir über den Rücken.
»Na besten Dank an deinen Reiseführer für diese echt spannende Info.« Kat blickt auf die vorbeirauschenden Autos und die auf dem Gehweg flanierenden Touristen. »Hat früher sicher ziemlich anders hier ausgesehen.«
Ich blicke über die Straße und die dahinterliegende Rasenfläche hinweg auf die imposanten Mauern und mächtigen, steinernen Gebäude, die dort seit Jahrhunderten stehen. Genau dieser Anblick muss das Letzte gewesen sein, was viele der Gefangenen sahen, während sie niederknieten und auf den Hieb warteten, der ihrem Leben ein Ende setzen würde. Für einen Moment glaube ich beinahe das Echo ihrer verzweifelten Schreie von den Mauern widerhallen zu hören. »Vielleicht gar nicht so anders«, sage ich leise, während wir die Straße überqueren.
»Also, wenn wir da wirklich unbedingt reinmüssen«, sagt Kat, nachdem wir unsere Eintrittskarten abgeholt haben, »dann lass uns gleich zu den Klunkern gehen. Ich will wenigstens ein bisschen Schmuck sehen, wenn ich schon nicht shoppen darf.« Sie schaut hinab auf die sündhaft teuren High Heels, die sie gestern erst gekauft hat. »Zu schade, dass es da drin keinen Schuhladen gibt.« Sie wirft mir einen Seitenblick zu. »Gibt es doch nicht, oder?«
»Nein«, sage ich, »ganz bestimmt nicht.«
Ich blicke hinauf zu dem eckigen Wehrturm. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie die Wachen dort oben in ihren gepanzerten Rüstungen auf und ab gehen und ihre Waffen auf das trübe Wasser unten richten. Ein beunruhigendes Gefühl beschleicht mich, und nervös suche ich nach den Anzeichen einer drohenden Vision, aber alles, was ich sehe, ist meine jetzt schon völlig genervte Schwester. Ich klappe den Reiseführer dort wieder auf, wo mein Finger noch zwischen den Seiten steckt. »Hier steht, man sollte erst eine Führung mitmachen und sich dann ein wenig allein umsehen. Ist im Preis inbegriffen.«
»Ach, komm schon, Cole«, mault Kat und stemmt die Hände in die Hüften. »Kannst du nicht mal das blöde Buch sein lassen und irgendwas Spontanes machen? Die ganzen Ferien geht das schon so: Hier steht dies, hier steht das. Ist das deine neue Bibel, oder was? Du bist sechzehn, nicht sechzig.«
»Als es uns geholfen hat, dein Shopping-Mekka Harrods zu finden, hast du dich nicht beschwert«, sage ich verärgert, denn es ist nicht das erste Mal, dass wir diese Diskussion führen. »Oder als ich darin dieses tolle indische Restaurant im Theaterviertel entdeckt habe.«
»Gib her«, sagt Kat, schnappt sich den Reiseführer und blättert darin herum. »Hier ist ein langer Abschnitt über Geistertouren durch London. Vielleicht haben wir ja Glück und sehen einen. Dann wäre dieser Tag wenigstens nicht völlig vergeudet.«
Ich hole mir das Buch zurück: »Es gibt keine Geister.« Ich glaube nicht an Geister. Oder Vampire. Oder Visionen, in denen Leute auf einem rauchenden Hügel vor dem Tower von London getötet werden …
»Aha, jetzt bist du plötzlich die Expertin? Dein heiß geliebtes Buch sagt aber, dass es welche gibt. Ich finde, wir sollten diesen Tower-Quatsch vergessen und eine Geistertour machen. Das wäre bestimmt viel cooler.«
»Aber das ist doch alles bloß Schwindel.« Ich habe schon genug damit zu kämpfen, von ungebetenen Visionen heimgesucht zu werden,
Weitere Kostenlose Bücher