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Für jede Lösung ein Problem

Für jede Lösung ein Problem

Titel: Für jede Lösung ein Problem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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mir selber Depressionen.
    Es gab massenhaft Websites zu diesem Thema. Und offenbar haufenweise Menschen, die Depressionen hatten. Da musste ich mir gar nicht so seltsam vorkommen. Wir Depressiven bildeten die Basis für einen sehr lukrativen Wirtschaftszweig.
    Man unterschied zwei Gruppen, nämlich endogene und reaktive Depressionen. Endogen Depressive waren von innen heraus schwermütig, reaktiv Depressive reagierten auf äußere Umstände. Ein wenig erleichtert, dass ich nicht völlig grundlos verrückt geworden war, teilte ich mich der zweiten Gruppe zu.
    Auf einer anderen Seite fand ich eine Unterteilung der Depressionen in neurotische, psychotische, somatogene und zyklothyme Störungen, und nach gründlichem Studium der Symptome entschiedich mich – wenn auch schweren Herzens – für die neurotischen Depressionen.
    Ich war, das muss ich wohl nicht noch extra betonen, alles andere als glücklich mit dieser Diagnose. Das würde doch die Partnersuche noch um einiges erschweren.
    »Hallo, mein Name ist Gerri Thaler, und ich bin neurotisch. Reaktiv neurotisch depressiv.«
    Erst wenn man sich entschlossen hat, die Konsequenzen aus der Neurose zu ziehen, kann es einem egal sein, was die Leute von einem denken. Aber so weit war ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Noch war ich fest entschlossen, etwas dagegen zu unternehmen. Systematisch.
    Als das Telefon klingelte, zuckte ich zusammen. Sicher war das wieder Charly, die sich wunderte, dass ich nicht zurückrief, nachdem ich meine erfundene Milch gerettet hatte.
    Aber es war eine fremde Frauenstimme. »Spreche ich mit Gerda Thaler?«
    »Ja«, sagte ich zögerlich. Fast erwartete ich, dass die fremde Frau sagen würde: »Schämen Sie sich denn gar nicht, wegen der Schwangerschaft Ihrer besten Freundin Depressionen zu bekommen?«
    Aber sie sagte etwas ganz anderes. Sie sagte: »Herzlichen Glückwunsch, Sie haben gewonnen.«
    Ich seufzte erleichtert auf. Noch vor kurzem musste ich zu zeitaufwändigen Methoden greifen, um diese »Sie haben gewonnen«-Leute wieder loszuwerden. Keine Ahnung, wo die immer meine Telefonnummer herhatten, aber es rief fast jede Woche jemand an, der behauptete, dass ich gewonnen hätte, na ja, jedenfalls beinahe und so gut wie gewonnen. Man musste nur noch ein Dauerlos für irgendeine Lotterie kaufen, und schon war man Millionär, jedenfalls beinahe und so gut wie. Wenn man nicht mitmachen wollte, dann fragten sie immer das Gleiche: »Was? Wollen Sie denn nicht Millionär werden?« Wahrscheinlich hatten sie alle dasselbe Telefonmarketing-Seminar besucht, bei dem man vor allem eins lernte: Lassen Sie sich nicht abwimmeln, nicht mal, wenn bei Ihrem Gesprächspartner gerade die Milch überkocht.
    Charly legte deshalb bei solchen Anrufen immer gleich auf. Manchmal, wenn sie eigentlich einen anderen Anruf erwartet hatte, sagte sie auch noch etwas Gemeines, bevor sie auflegte: »Such dir einen neuen Job, du Armleuchter!« oder »Fick dich ins Knie!!« (Charly hatte überhaupt keine Manieren.)
    Ich nahm mir jedes Mal vor, das – bis auf die unflätigen Ausdrücke – genauso zu machen, aber ich schaffte es einfach nicht. Mir schien das diesen armen, freundlichen Menschen gegenüber nicht fair zu sein, einfach den Hörer aufzuknallen, ohne die Höflichkeit zu besitzen, sich ihr Anliegen anzuhören. Nicht jeder konnte sich schließlich seinen Job aussuchen. Obwohl ich bereits einmal ein Los gekauft hatte und weder die versprochene Mikrowelle erhalten noch Millionär geworden war, hatte ich jedes Mal ein schlechtes Gewissen, wenn ich kein Los kaufte. Um das Auflegen des Hörers vor mir selber zu rechtfertigen, musste ich einen triftigen Grund finden, sonst ging es mir den ganzen Tag schlecht.
    Bodenlose Enttäuschung war zum Beispiel ein triftiger Grund. Das ging dann in etwa so:
    »Herzlichen Glückwunsch, Sie haben gewonnen, Frau Thaler! Sie sind in der Endauslosung um einen wunderschönen Beetle, Frau Thaler, und Sie …«
    »Was, echt ?«, hier unterbrach ich die freundliche Frau oder den freundlichen Mann begeistert. »Ein Beatle? Welcher ist es denn? Paul McCartney? Oder Ringo Star? Na ja, wunderschön ist vielleicht was anderes, aber – egal! Für wie lange darf ich den denn behalten? Und meinen Sie, der macht auch Hausarbeit?«
    »Hahaha, ich spreche natürlich von dem Auto! Einem wunderschönen Beetle-Cabrio. Das wäre doch was für den Sommer, oder etwa nicht, Frau Thaler? Und Sie sind ja nicht nur bald stolze Besitzerin des Beetles, sondern mit

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