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Für Nikita

Für Nikita

Titel: Für Nikita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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über insgesamt hunderttausend Dollar in der Innentasche
     seines Jacketts – seinem nervösen Freund die feuchte Hand.
    »Mach’s gut, Grischa. Vor allem, schon deine Nerven.«
    Ja, Russow sollte seine Nerven wirklich schonen. Er hatte Schweres und Unangenehmes vor sich. Viktjuk hatte vor seinem Besuch
     bei ihm unter vier Augen mit dem eigentlichen Boß des Gebiets gesprochen. Die Geschichte mit der albernen Laune des Gouverneurs,
     der bei Viktor Godunow bestellten Biographie, hatte auf Spely großen Eindruck gemacht. So großen, daß er sofort in Moskau
     anrief, um sich mit zwei seiner Jungs in Verbindung zu setzen, mit Kostik und Stassik. Die beiden waren nämlich keineswegs
     Leute des Gouverneurs.
    Nun würde Veronika Sergejewna wohl kaum nach Sinedolsk zu ihrem liebenden Mann zurückkehren. Ihre Rumtreiberei hätte bald
     ein Ende.
     
    Nika erreichte gerade noch die letzte Vorortbahn vor der zweistündigen Pause. Sie kaufte eine Fahrkarte, rannte zum Bahnsteig,
     zwängte sich in den letzten, brechend vollen Waggon – all das, fast ohne sich umzusehen. Weil sie sich so furchtbar beeilen
     mußte, weil ihr Herz wie rasend schlug und wegen der Tränen, die nicht trocknen wollten.
    Der Zug fuhr an. Nika atmete durch und zog die Mütze, die ihr in den Nacken gerutscht war, tief in die Stirn. Auf dem Bahnsteig
     huschten Gesichter vorbei. Nika entdeckteweder Stassik und Kostik noch das merkwürdige Subjekt mit den eingefallenen Augen. Das gleichmäßige Rattern des Zuges wirkte
     einschläfernd.
     
    Nikita und sie fuhren mit der Vorortbahn durch nächtliches Schneetreiben; sie wollten zu zweit Silvester feiern. Sie hatten
     eine Art Zuflucht, von der kaum jemand wußte: Ein kleines Haus mit Ofen am Rande des Dorfes Jelanka. Zwei Stunden mit dem
     Zug, dann anderthalb Stunden zu Fuß über ein Feld, durch einen Eichenwald und drei verschlafene kleine Siedlungen. Das Häuschen
     gehörte Nadeshda, und außer Nikita benutzte es seit langem niemand mehr. Es war der einzige Ort, wo sie in jenen hektischen
     Jahren mit endlosem Teetrinken, Gästen und nächtlichen Debatten allein sein konnten.
     
    »Die Fahrkarten bitte! Aufwachen, junge Frau, Ihre Fahrkarte!«
    Nika öffnete mühsam die Augen und begriff im ersten Moment nicht, wo sie war. Sie tastete in der Jackentasche nach der Fahrkarte,
     reichte sie, ohne hinzusehen, dem Kontrolleur und glaubte durch einen schläfrigen Schleier ein abgezehrtes Totenschädelgesicht
     mit eingefallenen Augen zu sehen. Sie zuckte so heftig zusammen, daß ihr die Tasche von den Knien rutschte; sie beugte sich
     hinunter, um sie aufzuheben, und als sie sich wieder aufrichtete, hätte sie beinahe laut geschrien.
    Er saß ihr gegenüber.
    »Bürger, wo ist Ihre Fahrkarte?«
    »Ich hab’s nicht geschafft«, sagte er heiser, die Augen auf Nika gerichtet. »Ich zahle die Strafe.«
    Er wühlte hastig, ungelenk in seinen Taschen. Seine Hände zitterten stark. Nika bemerkte die sieben kreisrunden Narben.
    Eine Erscheinung aus der Vergangenheit, aus der Jugend. Ein großer, breitschultriger Junge in Uniform. In blauer Fliegeruniform.
     Nun erinnerte sie sich, daß er IwanJegorow hieß, mit Grischa zur Schule gegangen und dann nach Moskau gezogen war. Er hatte bei den Rakitins verkehrt. Sie hatte
     sich seine Narben nicht nur deshalb gemerkt, weil sie darüber gesprochen hatten. Iwan Jegorow hatte sich erboten, Nikitas
     alte Schreibmaschine zu reparieren, eine vorrevolutionäre Underwood. Nikita hatte sie schon lange wegwerfen wollen, die Underwood
     war nicht mehr zu gebrauchen, vor allem wegen ihrer nicht standardgerechten Schrift. Er kaufte sich eine neue Olympia, und
     die Underwood blieb bei Iwan Jegorow. Vermutlich hatte er sie repariert. Die anonymen Briefe waren darauf geschrieben worden.
     
    Die beiden kräftigen, uniformierten jungen Kontrolleure standen noch neben ihr. Schwere, animalische Furcht stieg in ihrer
     Kehle auf und nahm ihr den Atem. Sie wollte sagen: »Das ist ein Verrückter, er verfolgt mich, tun Sie doch etwas.« Aber sie
     schwieg wie versteinert und konnte den Blick nicht von den eingefallenen Augen wenden.
    Sie entdeckte darin keine Spur von Irrsinn oder Bosheit. Nur Trauer. Die Kontrolleure gingen.
    »Sie heißen Iwan Jegorow«, sagte Nika mühsam. »Sie waren mit meinem Mann in einer Klasse. Was wollen Sie von mir?«
    »Hier im Zug sitzt der Mann in der Lederjacke, der in der Metro war«, sagte er und schluckte krampfhaft. »Sie können ihn nicht
    

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