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Für Nikita

Für Nikita

Titel: Für Nikita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Witwe! Eine arme Witwe mit Kind! Wovon sollen wir leben? Ich bekomme schon
     seit drei Jahren keine Filmangebote mehr, am Theater will mich auch keiner. Ich bin Schauspielerin! Das haben zwar alle vergessen,
     aber ich bin, nebenbei gesagt, ebenfalls begabt. Und was soll ich nun machen? Er hat keine Kopeke hinterlassen, versteht ihr!
     Keinen Groschen! Das Genie … Der Teufel soll ihn holen.«
    »Widerwärtig!« bellte Tante Natascha. »Sie verhöhnt das Andenken an ihn.«
    »Wie kann sie es wagen? Raus mit ihr, raus hier, sofort!« Mamas Schreien war nun ein gellendes Kreischen. Hocker polterten,
     Schritte eilten über den Flur, krachend fiel die Wohnungstür zu.
    »Viktoria, beruhige dich doch, ich bitte dich.«
    »Laßt mich in Ruhe! Ich hasse ihn! Was hat er uns angetan? Wofür? Nika, mein Kind, komm her! Nika! Wo ist mein Kind?«
    Nika rannte weg, verkroch sich im Wandschrank, kniff die Augen zusammen und hielt sich die Ohren zu, dochMamas Geschrei drang trotzdem in ihr Gehirn wie Nadelstiche.
    »Nun sucht sie doch! Ich bitte euch, findet sie! Wo ist mein Kind?«
    Wolodja Boldins kräftige Arme zogen Nika aus dem Schrank.
    »Ruhig, ganz ruhig, meine Kleine, geh zu ihr, sie ist nicht ganz bei sich. Hab Mitleid mit ihr. Hab Geduld. Das vergeht wieder.«
    Mama preßte Nikas Kopf an ihre Brust, heftig und schmerzhaft.
    »Mein Mädchen, mein Töchterchen, meine Arme du, meine einzige. Keiner braucht uns mehr, jetzt sind wir beide mutterseelenallein.«
    Sie nahm Nikas Kopf in ihre zitternden Hände und küßte sie immer wieder auf Stirn und Augen, beschmierte sie dabei mit Lippenstift
     und hauchte ihr heftigen Alkoholdunst ins Gesicht.
    »Viktoria, laß sie los. Das Kind muß schlafen«, brach Onkel Wolodja Boldin das peinliche Schweigen.
    »Verzeih ihr, Kleines«, sagte er, als er auf ihrem Bettrand saß und ihr Haar streichelte, »sie hat einen Nervenzusammenbruch.
     Ich weiß, du schämst dich und ekelst dich. Nichts ist schlimmer, als sich für seine Mutter zu schämen. Aber das geht vorbei.
     Du wirst es vergessen und verzeihen, das Leben kommt schon wieder ins Lot.«
    »Verzeihen ja«, murmelte Nika, »aber vergessen bestimmt nicht.«
    »Überleg doch mal, wie ihr jetzt zumute ist.« Onkel Wolodja seufzte. »Versuch sie zu verstehen und einfach Mitleid mit ihr
     zu haben. Sie ist im Grunde ein guter Mensch, und sie liebt dich sehr. Glaubst du mir das?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Sie spielt. Sie spielt die ganze Zeit.«
    »Urteile nicht so hart, Nika. Das ist dein kindlicher Maximalismus. Sie ist deine Mutter. Die einzige, die du hast und je
     haben wirst. Im Grunde ist sie ein guter Mensch.«

Elftes Kapitel
    Im Grunde ist mein Grischa ein guter Mensch, dachte Nika und blickte unverwandt aus dem Fenster.
    Im Flugzeug erlosch das Licht. Der Himmel wurde langsam hell. Sina war eingeschlafen, ihr Mund stand offen wie bei einem Kind.
     Im Schlaf war ihr Gesicht glatter, ihre Wangen rosig. Sie sah wieder aus wie ein Teenager, als wären die acht Jahre, die ihr
     Gesicht so schrecklich verändert hatten, nie gewesen.
    Sie konnte auf Anhieb einschlafen, in jeder Umgebung, bei jedem Lärm, in der unbequemsten Haltung. Und ebenso augenblicklich
     erwachte sie, riß die euphorischen blauen Augen auf und rannte los, ohne sich zu waschen, oder griff zum Bleistift.
    Sie versuchte nie, ihre Bilder auszustellen oder an Galerien zu verkaufen. Sie brachte es fertig, ein kleines Meisterwerk
     für einen Spottpreis herzugeben. Auf Bitten verschenkte sie ihre Bilder auch. Sobald ein Bild fertig war, verlor sie das Interesse
     daran. Einmal hatte Sina vor Nikas Augen ein wundervolles Aquarellstilleben auf dem Tisch ausgebreitet, um darauf Stockfisch
     zu putzen.
    »Bist du verrückt?« schrie Nika, riß ihr das Aquarell weg und schüttelte vorsichtig die Fischreste ab.
    »Was ist das?« Sina staunte. »Wann hab ich denn das gemalt?«
    »Vor zwei Tagen. Du hast fast zwei Tage an diesem Stillleben gearbeitet. Und es ist sehr gut geworden. Sieh mal, die Zitrone
     hier auf dem Teller ist richtig echt, und diese Tasse mit dem Sprung …«
    »Red keinen Quatsch. Ich kann doch nicht fast zwei Tage an solchem Mist gemalt haben.« Sina lachte fröhlich. »Hör mal, wo
     ist denn der Fisch? Das Bier wird schal. Gib mir wenigstens eine Zeitung.«
    Hätte sie neben ihrem Talent noch ein wenig gesunden Menschenverstand, Fleiß und Ehrgeiz besessen, dann hätte sie eine renommierte
     Malerin werden können. Aber »hätte« zählt im

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