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Fürchte dich nicht!

Fürchte dich nicht!

Titel: Fürchte dich nicht! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grafit
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er sich vor, die Frau Doktor über den Zweck ihres Besuches auszuquetschen.
    Britta Hartweg musterte ihn erstaunt. »Was ist los mit dir?«

    »Wieso?«
    »Du hast ja gute Laune.«
    »Ist das so ungewöhnlich?«
    »Ja. Und ehe ich es vergesse: Deine Tochter hat angerufen.«
    Geis schloss die Tür zu seinem Büro auf und wählte die gespeicherte Nummer.
    Annika nahm sofort ab. »Hallo, Papa!«
    »Hast du Lust, am nächsten Wochenende nach Norderney zu kommen? Wir könnten uns zwei schöne Tage machen.«
    »Nein, ich habe angerufen, weil … Ich wollte dich was fragen.«
    Ach so. Das. »Wie viel?«
    »Hundert Euro. Aber nur, wenn es geht. Ich brauche dringend eine neue Jeans.«
    »Und unter hundert Euro gibt’s keine?«
    »Ich trage doch nicht so ein billiges No-Name-Teil. Aber sag ruhig, wenn du das Geld nicht hast. Es ist schon okay.«
    Annika wusste, wie sie ihn kleinkriegte.
    »Ich überweise dir die Summe.«
    »Heute noch?«
    »Ja, heute noch.«
    Annika jubelte. »Super, Papa!«
    »Und was ist mit dem Wochenende? Wenn du mich nicht auf Norderney besuchen willst, könnte ich nach Hannover kommen.«
    »Mach dir nicht die Mühe. Ist echt blöd. Ich bin am Freitag verabredet und am Samstag auch. Vielleicht die Woche drauf. Oder, besser noch, in zwei Wochen.«
    »Ja«, sagte Geis tonlos. »Irgendeinen Termin werden wir bestimmt finden.«

10
Norderney, Kaiserstraße

    Wieso hatte sie Ja gesagt? Was, um Himmels willen, war in sie gefahren, sich mit diesem Polizisten zu verabreden? Sie hatte sich doch so darauf gefreut, den Abend im Hotel zu verbringen. Die Tür verschließen und sich im Bett vergraben, beim Zimmerservice ein paar Sandwichs bestellen und niemanden an sich herankommen lassen. Das war der Plan gewesen.
    Dabei hatte sie die Zugfahrt recht gut überstanden. Besser, als sie es sich in der letzten, schlaflosen Nacht ausgemalt hatte. Natürlich war sie dem üblichen Horror begegnet: einer Frauengruppe, die kleine grüne Fläschchen kreisen ließ und alle zehn Sekunden kreischend lachte; einem Rentnerehepaar, das stinkende gekochte Eier auspackte; Jugendlichen, die die Lautstärke ihrer MP3-Player so hochdrehten, dass die Ohrstöpsel das ganze Abteil beschallten; Geschäftsleuten, die pausenlos in ihre umgehängten Handy-Mikrofone redeten. Der völlig normale Wahnsinn eben.
    Viola hatte sich in ihrem Sitz hinter Zeitschriften verschanzt und so unsichtbar wie möglich gemacht. Und mit jeder Stunde, die verstrich, hatte sie sich sicherer gefühlt. Sie hatte gewusst, diesmal würde sie ohne Panikattacken oder andere psychopathische Albernheiten auskommen. Auch dank der zwei Tabletten, die sie am frühen Morgen geschluckt hatte. Nicht einmal die schaukelnde Autofähre hatte sie aus ihrer chemisch stabilisierten Gelassenheit reißen können.
    Erst der Polizist hatte sie verunsichert. Sein misstrauischer Blick, seine Nachfragen. Der Mann war nicht dumm, sie durfte nicht den Fehler begehen, ihn zu unterschätzen. Obwohl er keine Ahnung hatte, weshalb sie wirklich auf Norderney war.
    Und da war noch etwas. Seine männliche Präsenz, das Testosteron, das er verströmte. Er sah aus wie ein ehemaliger Sportler, der seit geraumer Zeit das Training vernachlässigte. Immer noch kräftig und muskulös, aber mit leichtem Bauchansatz. Und dann diese Tränensäcke unter den Augen, die nicht vom Schlafmangel herrührten und ihm einen Hauch Tragik verliehen.
    Umso unverzeihlicher, dass sie sich so lächerlich benommen hatte. Diese blöden Scherze, das Herumgedruckse und peinliche Schweigen – wie ein pubertierendes Mädchen hatte sie sich aufgeführt. Welchen Eindruck musste Geis von ihr bekommen haben? Hatte er sie eingeladen, weil er dachte, er könne bei ihr landen? Glaubte er wirklich, sie sei naiv genug, sich von ihm abschleppen zu lassen? Da würde er auf Granit beißen. Nein, einen One-Night-Stand hatte sie nicht im Angebot. Schon lange nicht mehr.
    Viola zog ihre Kleidung aus und warf sie auf einen Sessel. Das Hotelzimmer war riesig. Durch eine Schiebewand konnte man den Schlaf- vom Wohnbereich abtrennen, es gab zwei Fernseher und bodentiefe Fenster ringsum, die einen Ausblick auf die westliche Inselspitze und das Meer erlaubten. Sie stellte sich hinter die Gardine. Unten rollten gischtige Wellen gegen das Ufer, am Horizont leuchteten winzige Modellschiffchen unter einem reiseprospektblauen Himmel.
    Fantastisch, dachte Viola, das war wohl der Ausdruck, den gewöhnliche Reisende in solchen Momenten verwendeten. Sie

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