Fürchte dich nicht!
ihm Thedinga auf den Hals zu hetzen.
Erste Regentropfen fielen auf das gestreifte Hemd des Hauptkommissars.
In der Kirche herrschte andächtiges Schweigen. Auf beiden Seiten des Mittelgangs standen Leute zwischen den Bänken und schauten neugierig zu, wie Geis von Thedinga nach vorn geführt wurde. Saskia Fischer, die neben Viola einen Platz in der ersten Reihe eingenommen hatte, grinste ihn höhnisch an. Geis suchte Violas Blick, aber die Wissenschaftlerin hielt den Kopf gesenkt. Sie schien der einzige Mensch in der Kirche zu sein, dem seine Anwesenheit unangenehm war.
Auf dem Steinpodest, wo sich vor der Säkularisierung der Altar befunden hatte, war ein bequemer Sessel platziert. Und auf dem Sessel saß ein Mann mit blonden Haaren und stahlblauen Augen. Erst beim zweiten Hingucken begriff Geis, dass es sich um Eichkorn handelte.
»Herzlich willkommen in unserer kleinen Gemeinde!«, sagte der frühere Dia-Lab- Geschäftsführer. »Auch wenn Sie nicht ganz freiwillig zu uns gefunden haben.«
Geis erwiderte nichts. Alles, was ihm einfiel, hätte seine Situation nur verschlechtert.
»Leider können wir Sie jetzt nicht mehr gehen lassen.« Eichkorns Stimme troff vor Ironie. »Das verstehen Sie doch, oder?«
»Was haben Sie vor?«, stieß Geis heiser heraus. »Mich umbringen?«
»Umbringen? Nein, Herr Hauptkommissar, wir sind keine Mörder. Wir geben Ihnen die Chance, sich uns anzuschließen.«
Geis verstand sofort, was Eichkorn meinte. Sie würden ihn mit FSME infizieren, ihn in ein anderes Wesen verwandeln. Panik ergriff ihn. Er war mit seinem bisherigen Leben zufrieden, mochte es auch unvollkommen und manchmal traurig sein. Er wollte kein neues, nicht zu einem dieser angstfreien Roboter werden, die auf Eichkorns Kommando hörten. Wie Fischer, Thedinga – und Viola.
Er musste es versuchen. Darauf hoffen, dass Thedinga nicht schießen würde. Beiläufig drehte er den Kopf. Dreißig bis vierzig Menschen hielten sich in der Kirche auf. Fast unmöglich, ihnen zu entkommen. Aber es gab …
Ein Schlag auf den Hinterkopf beendete schmerzvoll seine Überlegungen.
Das Bett schaukelte. Er fürchtete, dass es umkippen und ihn unter sich begraben würde. Seine Finger klammerten sich in der Bettdecke fest.
Jetzt merkte er, dass sich das Bett vorwärtsbewegte wie eine Lore, die auf unterirdischen Schienen immer tiefer hinabglitt, durch ein Labyrinth von Tunneln, bis zu einer Halle, einer hell erleuchteten Halle.
Das Licht blendete ihn. Er konnte die Augen nicht öffnen. Das Licht stach in seinen Kopf, füllte ihn aus mit blauen und roten Schmerzen.
»Wie geht es Ihnen?«
Die Stimme kam ihm bekannt vor. Er versuchte noch einmal, die Augen zu öffnen. Nur einen winzigen Schlitz. Ein Mann saß auf seinem Bett. Eichkorn.
Das Schaukeln blieb. Das bildete er sich nicht ein. Das ganze Haus rollte hin und her. Wie ein Boot. Natürlich, er befand sich auf dem Wasser.
»Haben … haben …«
»Ob wir Sie schon infiziert haben? Nein. Wir wollten warten, bis Sie Ihr Bewusstsein wiedererlangen. Da Sie den feierlichen Moment sicher miterleben möchten.«
»Arsch…«
»Strengen Sie sich nicht an, Herr Hauptkommissar. Entspannen Sie sich!«
Geis konnte seine Arme nicht bewegen. Sie waren an der Pritsche festgeschnallt, ebenso wie die Beine.
Eichkorn zog eine Spritze auf. »In Ihrem Fall brauchen wir keine Zecken. Ich injiziere Ihnen die Viren direkt. Es wird sehr schnell gehen, vertrauen Sie mir.«
»Lassen Sie das!« Geis strampelte. »Meine Kollegen werden Sie bald festnehmen.«
»Das kann passieren. Zu dem Zeitpunkt, den ich für richtig halte. Dann werde ich mich rechtfertigen und der Welt meine Argumente darlegen.«
Ein Gummiband schlang sich um den rechten Oberarm des Hauptkommissars, Eichkorn suchte nach einer passenden Vene.
»Ihr großartiger Plan.« Geis gab seinen Widerstand auf. »Glauben Sie wirklich, Sie kommen an die Teilnehmer des Regierungsgipfels heran? Das ist absolut lächerlich.«
»Denken Sie?« Die Spritze stach zu. Ein winziger Pikser im Vergleich zu den dröhnenden Kopfschmerzen. Aber mit fürchterlichen Auswirkungen.
»Die Dosis ist großzügig bemessen.« Eichkorn lächelte. »Meine Anerkennung dafür, dass es Ihnen gelungen ist, Viola zu beeindrucken. Trotzdem haben Sie eine realistische Chance. Zu überleben, meine ich. Und falls nicht …«, er zog die Spritze heraus und wischte das Blut mit einem Tupfer weg, »… ist es nicht schade um Sie.«
Geis spürte, wie ihm die Hitze in
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