Fürchte dich nicht!
Eichkorn angeschlossen. Wer noch? Wie viele Anhänger mochte Deus um sich versammelt haben? Was war ihr Ziel? Und welche Rolle spielte Viola dabei?
Geis rutschte tiefer unter das Lenkrad. Fischer richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Bahnhofseingang, und die spiegelnde Frontscheibe schützte ihn vor ihren Blicken. Trotzdem musste er vorsichtig sein, seine ehemalige Kollegin durfte ihn nicht entdecken. Fischer würde ihn zu Eichkorn führen. Und damit zu der Chance, die ganze Clique hochzunehmen. Einschließlich Viola.
Er hatte gehofft, Viola würde das Thema ansprechen und ihm von sich aus ihren Mailwechsel mit Deus alias Eichkorn beichten. Bis heute Morgen, als sie sich verabschiedeten, hatte er gehofft. Aber Viola hatte kein Wort über die Lippen gebracht. Jetzt konnte er sie nicht länger schützen. Es würde genau das passieren, vor dem sie sich am meisten fürchtete. Mitgefangen, mitgehangen. Er durfte nicht länger warten.
Schöning ging nicht ans Telefon. Dann eben Bischoff.
In groben Zügen schilderte Geis seinen Erkenntnisstand.
»Was schlägst du vor?«, fragte Bischoff.
»Ich werde Fischer und de Monti observieren. Es wäre schön, wenn wir nicht an jeder Ecke einem Polizeiwagen begegnen würden. Die Kräfte sollen zwar in Alarmbereitschaft versetzt werden, sich aber im Hintergrund halten. Zugriff erst auf mein Kommando. Falls zudem ein oder zwei zivile Teams zur Verfügung stehen, um mich abzulösen, könnte ich mich ein Stück zurückfallen lassen, schließlich kennt de Monti meinen Wagen. Gib meine Handynummer an die Auricher Kripo weiter. Ansonsten melde ich mich, sobald sich was tut.«
»Ist notiert«, sagte Bischoff. »Viel Glück!«
»Danke.« Geis beendete das Gespräch in dem Moment, in dem Viola auf den Bahnhofsvorplatz trat. Fischer ging auf sie zu, begrüßte sie herzlich mit Küsschen links und rechts. Geis fiel ein, dass die Polizistin der Wissenschaftlerin auf Norderney begegnet war, allerdings erklärte das nicht, warum sich Fischer bei Viola unterhakte und so munter mit ihr plauderte, als wären sie alte Freundinnen. Wobei sich Viola, wenn ihn sein Eindruck nicht täuschte, deutlich zurückhaltender verhielt.
Die Frauen stiegen in einen roten Golf mit Auricher Kennzeichen und fuhren los. Geis hängte sich an sie. In zügigem Tempo ging es stadtauswärts und dann auf die Autobahn Richtung Emden. Geis dachte an die Zeit, die er mit Viola in Berlin verbracht hatte. Sie hatte ihr Versprechen gehalten und ihn nicht bedrängt. Fast distanziert war sie mit ihm umgegangen. Und er, geschockt von der Lektüre der Deus-E-Mails, hatte am ersten Abend kaum einen Satz herausbekommen. Viola bestritt den Hauptteil der Unterhaltung, indem sie von der Arbeit im Bundesinstitut und den Versuchen erzählte, die man mit ihr anstellte. In der ersten Nacht war Geis ein paarmal hochgeschreckt und auch am nächsten Tag hatte er seine Beklommenheit nicht abschütteln können. Das Misstrauen war immer gegenwärtig gewesen, die Beziehung zwischen Viola und ihm ähnelte der eines alten Paares, das sich nach Scheidungskrieg und verbrannter Erde zu einem vergeblichen Versöhnungstreffen aufraffte. Und so hatte er den Augenblick des Abschieds herbeigesehnt. Früh am Sonntagmorgen war er aufgebrochen, um Leer vor Viola zu erreichen.
Kurz vor dem Ende der Autobahn Richtung Emder Hafen nahm Fischer die B70 nach Norden. Wieso rief eigentlich niemand an? Geis kontrollierte sein Handy. Bischoff musste längst die Auricher Kripo informiert haben. Und bei einem Fall dieser Dringlichkeit und Tragweite war es doch wohl selbstverständlich, dass er Unterstützung bekam.
Gerade wollte er Bischoffs Nummer aktivieren, als die Anrufmelodie erklang. Eine Festnetznummer aus der Region. Na endlich!
»Thedinga hier.«
»Garrelt? Was machst du …«
»Ich bin zurzeit auf dem Festland. Und da ich dich kenne, habe ich den Auftrag bekommen, den Kontakt zu dir zu halten.«
Hatte man keinen Besseren auftreiben können als den phlegmatischen Thedinga? Was waren das für Schnarchsäcke in Aurich?
»Und wie sieht’s aus?«, fragte Geis genervt. »Ich bin jetzt seit einer halben Stunde hinter dem Zielfahrzeug. Es wäre langsam angebracht, dass mich jemand ablöst. Immerhin ist Fischer Polizistin.«
»Noch ein paar Minuten, höchstens eine Viertelstunde«, sagte Thedinga. »Heute ist Sonntag. Du weißt doch, wie das läuft.«
»Verdammt noch mal, ich verfolge keinen Hühnerdieb. Hat euch Bischoff nicht gesagt, um was es
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