Fürchte dich nicht!
gewarnt habe.«
»Das werden Sie nicht«, sagte Lange.
Der Minister blinkerte ein paarmal mit den Augenlidern und nahm die Füße vom Schreibtisch. »Was haben Sie gesagt, Lange?«
»Sie werden sich dafür einsetzen, dass der Gipfel auf Norderney stattfindet.«
»Habe ich irgendwas verpasst? Seit wann haben wir die Rollen getauscht und Sie erzählen mir , was ich zu tun habe? Seien Sie vorsichtig, Lange! Beißen Sie nicht die Hand, die Sie füttert!«
Der Abteilungsleiter blieb ruhig. »Ich arbeite seit über einem Jahr an der Vorbereitung des Gipfels. Und ich möchte nicht, dass die Früchte unserer gemeinsamen Anstrengungen im letzten Moment vernichtet werden. Dass eine infizierte Zecke auf Norderney einen Regierungschef sticht, ist in etwa so wahrscheinlich wie ein Tsunami, der die Insel überrollt. Vor der Panik zurückzuweichen, die in einem Teil der Medien verbreitet wird, wäre völlig falsch. Die Menschen erwarten von der Bundesregierung Stärke und Zuversicht. Auf keinen Fall dürfen wir die Hysterie unterstützen, die geradewegs ins Chaos führt. Und genau das würde passieren, wenn wir den Gipfel jetzt absagen. Möchten Sie dafür die Verantwortung übernehmen, Herr Minister?«
Der Atem der Männer klang wie das Rauschen eines weit entfernten Gebirgsbaches. Mit jeder Sekunde, die verstrich, war sich Lange sicherer, dass er gewinnen würde. Und er hatte recht.
»Du treibst ein gefährliches Spiel«, sagte Wiegand, nachdem sie das Büro des Ministers verlassen hatten.
In letzter Zeit gefiel sich Wiegand darin, den Bedenkenträger zu geben. Doch Lange hatte genug von Wenns und Abers. »Und du bist ein ebensolcher Hosenscheißer wie der Mann da hinter der Tür. Gibt’s denn außer mir niemanden, der sich um die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung sorgt?«
»Es ist nicht nötig, mich zu beleidigen, Winfried.« Die George-Clooney-Maske zerbröselte. »Warum hast du ihm nichts von dem Schiff erzählt?«
»Weil es nicht wichtig ist.«
»Ich bitte dich! Eichkorn könnte an Bord gewesen sein.«
»Das ist nicht erwiesen, verdammt noch mal!«
»Aber die DNA des Polizisten hat man gefunden.«
»Na und? Geis ist wahrscheinlich längst tot. Und selbst wenn sich Eichkorn auf Norderney aufhält: Was kann er denn machen? Glaubst du, er kommt durch die Sicherheitskontrollen vor den Hotels?«
»Nein, sicher …«
»Dann halt die Klappe und geh an die Arbeit!«
Wiegand zog ab. Ein Freund weniger, dachte Lange. Später, wenn alles vorbei war, würde er sich darüber Gedanken machen. Im Moment hatte er dazu keine Zeit.
Mit schnellen Schritten eilte Lange durch das Vorzimmer seines Büros, stoppte den beginnen wollenden Redefluss seiner Sekretärin mit einer Handbewegung und schloss die innere Tür, die mit ihrer Polsterung jedes Geräusch absorbierte. Keine Sekunde später hielt er ein Handy in der Hand.
Eine Männerstimme meldete sich.
»Wir müssen für den Fall vorsorgen, dass Eichkorn ausfällt«, sagte Lange ohne Vorrede. »Die Situation ist brenzlig, ich kann sie nicht unter Kontrolle halten.«
»Kein Problem«, antwortete der andere. »Es sind genügend Leute eingeweiht. Die Aktion wird auch ohne Eichkorn laufen.«
»Sind die Leute nicht kopflos – ohne ihren Deus?«
»Er hat ihnen beigebracht, selbstständig zu handeln.«
»Gut. Ich verlasse mich auf Sie.«
Der Mann lachte. »Tun Sie das lieber nicht. Ich könnte auch auffliegen.«
48
Norderney, Nordhelm-Siedlung
Er war so dumm. Warum hatte er nicht getan, was man von einem Polizisten erwartete? Wieso war er ihr gefolgt, ohne jemanden zu informieren? Und weshalb hatte er sich von dem einfältigen Thedinga überwältigen lassen? Dummer, dummer Martin.
Viola tupfte Geis den Schweiß von der Stirn. Er fieberte. Manchmal stieß er Flüche und Verwünschungen aus. Oder er brabbelte mit offenen Augen zusammenhanglose Sätze, in denen häufig die Namen Michaela und Annika fielen, die Namen seiner Exfrau und seiner Tochter.
Es stand nicht gut um Geis. Viola pflegte ihn, so gut es ging. Viel hatte sie nicht zur Verfügung: ein fiebersenkendes Mittel, Schmerztabletten, Wadenwickel. Geis gehörte in ein Krankenhaus, sie war keine Ärztin, verstand nur theoretisch etwas von der Krankheit, die den Polizisten an den Rand des Todes brachte.
Aber dazu, Geis in ein Krankenhaus einzuliefern, war Eichkorn nicht bereit. Sie hatte schon betteln, ihm versprechen müssen, alles zu tun, was er sich von ihr wünschte, nur um die Erlaubnis zu
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