Fürchtet euch
nicht nachspionieren«, sagte sie. »Vor allem nicht eurem Daddy. Ihr braucht noch nicht zu wissen, worüber Männer reden.« Aber ich wusste schon, worüber Männer wie mein Daddy so redeten. Sie redeten über Burley-Tabak und Farmarbeit und andere Männer, die sie kannten und die neue Autos oder neue Freundinnen hatten oder deren Frauen ganz überraschend krank geworden und gestorben waren. Ich verstand nicht, was an solchen Unterhaltungen so besonders sein sollte, dass ich und Stump nichts davon mitbekom- men durften. Ich wollte ihr sagen, dass Daddy immer bloß über Sachen redete, über die alle Leute redeten, wenn sie arbeiteten oder einfach nur rumsaßen und plauderten. Sie redete immer nur von Gott und Jesus und Pastor Chambliss und was so alles da in der Kirche los war. Manchmal hätte ich am liebsten gesagt: »Wenn’s da so toll ist, warum kriegst du Daddy dann nicht dazu, mit dir zusammen hinzugehen?«, und »Und wenn’s da so schön ist, warum dürfen Stump und ich dann nicht mitkommen?« Ich wollte ihr sagen, wie satt ich es hatte, mir das dauernd anzuhören, aber ich behielt meine Gedanken schön für mich, sonst hätte sie bestimmt wieder den Gürtel hervorgeholt und mich verdroschen.
Joe Bill hob den Arm und boxte mich gegen die Schulter. »Na los«, sagte er. »Du willst doch jetzt nicht kneifen, oder?«
»Geh du doch hin«, erwiderte ich. »Du wolltest schließlich unbedingt herkommen, und ich will deinetwegen keinen Ärger kriegen. Die kommen bald raus, und meine Mom kriegt einen Anfall, wenn sie sieht, dass ich ihr nachspioniere.«
»Ist doch noch längst nicht zwölf«, sagte Joe Bill. »Und sonntags kommen die nicht vor eins raus. Dauert also noch ’ne ganze Weile. Außerdem spionierst du ihr eigentlich auch nicht nach. Ich wette, du hättest mit Stump mit reingehen dürfen, wenn du sie gefragt hättest. Ist doch nicht schlimm, wenn wir mal reingucken, nur weil du nicht gefragt hast.«
»Die haben
mich
ja auch nicht gefragt«, sagte ich. »Mr Thompson hat Stump geholt, nicht mich.« Aber noch während ich das sagte, war ich heilfroh, dass Mr Thompson nicht auf der Suche nach mir runter zum Fluss gekommen war. Sonst hätte er mich bestimmt auch an die Hand genommen und über die Straße zur Kirche geführt, wie er das mit Stump gemacht hatte. Er war alt und glatzköpfig bis auf ein bisschen blassgelbes Haar, das ihm hinter den Ohren abstand. Es hatte die Farbe von welkem Gras, und sein Gesicht und seine Arme und Hände waren mit dunklen braunen Flecken bedeckt, die aussahen wie große Sommersprossen. Seine alten gelben Augäpfel waren immer feucht und sahen irgendwie zu groß für seinen Kopf aus, als könnten sie jeden Moment rausploppen. Am Morgen, als Mr Thompson nach Stump griff, hielt der seine Hand hinter den Rücken und rückte näher zu mir. Sogar Miss Lyle hatte das Gesicht verzogen, als wollte sie nicht, dass Mr Thompson Stump anfasste.
»Komm mit, Christopher«, sagte Mr Thompson. »Hab keine Angst. Ich bin hergekommen, um dir zu sagen, dass heute ein besonderer Tag für dich ist. Du darfst heute Morgen mit uns zusammen den Gottesdienst feiern.« Sein Atem roch so wie Stumps und meine Sachen rochen, wenn wir im Winter draußen gespielt hatten.
»Warum ist das ein besonderer Tag für ihn?«, fragte Joe Bill.
»Weil der Herr ihn gerufen hat«, sagte Mr Thompson. Er wollte Stumps Hand nehmen, aber Stump zog sie weg. Er hielt irgendwas in der geballten Faust und wollte sie nicht aufmachen. »Was hat er da?«, fragte Mr Thompson. Ich sah Stump an.
»Zeig mal«, sagte ich. Stump hielt die Hand wieder hinter den Rücken und stand da und sah über den Fluss, als könnte er mich nicht hören. »Stump«, sagte ich. »Zeig doch mal, was du da hast.« Schließlich öffnete er die Hand, und ich sah, dass er ein Stückchen Quarz aufgehoben hatte, das er wohl gefunden hatte, als wir mit Joe Bill am Fluss waren. Er hob andauernd irgendwelche glänzenden Steinchen auf und steckte sie in die Tasche, bis wir nach Hause kamen. In unserem Zimmer hatten wir ein ganzes Regal voll mit Steinen, die wir gesammelt hatten. Wir hatten sogar einen großen lila Quarzstein, der ungefähr so groß war wie ein Baseball und den Daddy gefunden hatte, als er sein Tabakfeld pflügte. Ich streckte Stump die flache Hand hin. »Ich verwahr den für dich«, sagte ich. »Ich pass gut drauf auf. Versprochen.« Er ließ den Quarz in meine Hand fallen, und ich schob ihn in die Gesäßtasche meiner Bluejeans. Dann
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