Fürchtet euch
ich wusste, dass Mama sagen würde, ich wäre böse, weil ich es war, der nach ihr gerufen hatte, und weil ich sie hatte glauben lassen, es wäre Stump gewesen. Eigentlich war es sogar egal, ob sie wusste, dass ich es war oder nicht, ich fühlte mich trotzdem böse. Sie kurbelte die Scheibe wieder runter, als wäre sie mit dem Reden fertig, und die Luft, die reinkam, fühlte sich gut auf meinem Gesicht an, auch wenn sie heiß und staubig war.
»Was meinst du, was Daddy dazu sagt?«, fragte ich über das Geräusch des Windes hinweg, der ins Auto strömte.
»Wir erzählen ihm noch nichts davon«, sagte sie.
»Wieso nicht?«
»Weil er es selbst miterleben muss«, sagte sie. »Sonst glaubt er nicht an Wunder.«
»Warum glaubt er nicht dran?«
»Weil er nicht will.«
Ich schloss die Augen und dachte darüber nach, dass Daddy ein Wunder erst sehen musste, um dran zu glauben, und dann dachte ich, dass das so ähnlich war wie eine Fata Morgana in der Wüste, wenn du vor lauter Durst bereit bist, irgendwas zu sehen, das gar nicht da ist, nur weil du es brauchst. Und Mama brauchte den Glauben daran, dass Stump nach ihr gerufen hatte, obwohl ich wusste, dass er es nicht getan hatte, und ich fragte mich, und vielleicht war das ja eine Sünde, ob ein Wunder wirklich kein Wunder ist, nur weil du weißt, dass es nicht stimmt.
Ich sah nach unten auf meine Hand und überlegte, ob ich versuchen sollte, den Splitter einfach rauszuschieben, und tastete mit einem Finger die Stelle ab, wo die Spitze aus meiner Handfläche ragte. Der Rest des Splitters war direkt unter der Haut, wie ein Ast, der im Winter knapp unter der Oberfläche eines Weihers eingefroren ist.
»Lass die Finger davon«, sagte Mama. »Du drückst ihn bloß noch tiefer rein, und dann krieg ich ihn erst recht nicht raus.«
Mama bog vom Highway ab und fuhr die Long Branch Road runter auf unser Haus zu. Weiter vorne links von der Straße lagen die Tabakfelder von meinem Daddy, und ich konnte sehen, wo er angefangen hatte, die Blätter zu schneiden, auf Stangen zu ziehen und zum Trocknen verkehrt herum aufzuhängen. Es sah aus, als hätte jemand so weit das Auge reichte kleine grüne Zelte aufgeschlagen. In ein paar Tagen würde mein Daddy diese Stangen mit Burley einsammeln und auf den Wagen laden, um sie dann in der Scheune zum Trocknen aufzuhängen.
Die Tabakreihen, die noch nicht abgeerntet worden waren, standen hoch und dicht da, und wenn ich und Stump uns verstecken wollten, taten wir immer so, als würde uns nie jemand finden können. Ich stellte mir gern vor, dass mein Daddy irgendwann im Spätsommer draußen auf dem Feld arbeitete und den Tabak auf Stangen zog, und dann würde er an eine Reihe kommen und nach unten sehen und mich und Stump entdecken.
»Hier habt ihr also die ganze Zeit gesteckt«, würde er dann sagen. Er würde Stump ansehen, und Stump würde bloß ein bisschen grinsen. »Weswegen grinst du denn so?«, würde Daddy sagen.
Mama bog links in unsere Einfahrt, die geschottert und voller Löcher war, und wir holperten dahin und wirbelten Staub auf, bis wir um die Kurve bogen und das Haus am Hang liegen sahen. Ich blickte zur Veranda, ob Daddy da auf uns wartete, nur für den Fall, dass Joe Bills Mutter ihn angerufen hatte, aber ich sah ihn nicht. Aber dann schaute ich nach links, und da stand er, vor der Scheune, in der Hand eine Schaufel, von der irgendwas runterhing. Als wir näher kamen, konnte ich sehen, dass es eine große, dicke Schlange war.
»Ach du meine Güte«, sagte Mama.
»Sieht aus wie eine Schlange«, meinte ich.
»Allerdings«, erwiderte sie und seufzte dann so laut, dass ich es hören konnte. »Allerdings, das tut es.«
Sie parkte den Pick-up vor dem Haus, und ich machte die Tür auf und sprang raus auf die Einfahrt.
»Komm, Stump«, sagte ich und rannte vorn am Pick-up vorbei über den Hof zu Daddy. Hinter mir hörte ich Stumps Schritte. Daddy trug eine alte blaue Asheville-Braves-Mütze mit dem weißen »A« vorne drauf und ein altes Button-down-Hemd und eine Bluejeans. Seine Arbeitsstiefel waren nicht zugebunden, und er hatte die Jeansbeine reingesteckt. Ich blieb vor ihm stehen und schnappte nach Luft und sah mir die Schlange an. Der Kopf war sauber abgeschlagen worden, und der Hals bog sich, als würde sie uns komisch angucken. Aus dem Stumpf hingen blutige Stränge.
»Was für eine Schlange ist das?«, fragte ich Daddy.
Er lächelte. »Eine tote«, sagte er.
»Im Ernst«, sagte ich. »Was ist das für
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