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Fürchtet euch

Fürchtet euch

Titel: Fürchtet euch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiley Cash
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Hörst du?«
    »Mach ich nicht«, versprach er.
    Er drehte sich um und rannte am Ufer entlang zu der Stelle, wo Miss Lyle und die anderen Kinder waren. Ich überlegte, hinter ihm herzulaufen, aber dann schaute ich nach unten auf meine Hand und spürte, wie sie mit jedem Herzschlag pochte. Es war wohl besser, wenn ich langsam ging.

    Als ich zu der Stelle kam, wo wir Sonntagsschule gehabt hatten, war Miss Lyle schon mit den anderen Kindern hoch zum Parkplatz vor der Kirche gegangen. Ich ging hinterher und blieb oben an der Straße stehen. Der Parkplatz war voll mit Leuten. Hitzewellen stiegen vom Asphalt auf, und es sah aus wie eine Fata Morgana, als wären alle da drüben auf dem Grund eines Swimmingpools und ich stände am Rand und schaute zu ihnen runter. Ich überlegte, wie eine Fata Morgana in der Wüste aussehen musste, wenn du dich verirrt hast und nichts mehr zu trinken hast und kurz vor dem Verdursten bist. Ich schätze, in so einem Moment kann dein Verstand dir so gut wie alles vorgaukeln.
    Einige Männer standen mit den Händen in den Taschen an der Straße und unterhielten sich. Ein paar von ihnen hatten sich Frisiercreme in die Haare geschmiert, und sie rauchten Zigaretten und standen bloß da und beobachteten die übrigen Leute auf dem Parkplatz. Ich schaute mich um, und im Handumdrehen hatte ich Mama und Stump entdeckt, weil sich nämlich eine Schar von Leuten um die beiden drängte. Alle redeten laut und lachten, und einige Frauen umarmten Mama, und ein paar Leute bückten sich auch und sprachen mit Stump, als rechneten sie damit, dass er ihnen antworten würde. Aber er sah sie nicht mal an, und dann lächelten sie und richteten sich wieder auf und sahen auf ihn runter und redeten weiter mit Mama, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen. Mama lächelte, als würde sie sich darüber freuen, was sie sagten. Stump schaute über die Straße zu mir rüber, und obwohl ich wusste, dass er wahrscheinlich auf den Fluss hinter mir blickte, hatte ich das Gefühl, als würde er mir genau in die Augen sehen.
    Ich sah die Straße rauf und runter, und dann überquerte ich sie und marschierte auf den Parkplatz. Die Hitzewellen zitterten vor mir wie eine Flamme aus einem Feuerzeug, und einen Moment lang sah es so aus, als würde jeder Einzelne auf dem Parkplatz brennen. Die Männer, die am Straßenrand rauchten, sahen mich kommen, und sie nahmen jeder noch einen Zug und warfen ihre Zigaretten dann auf den Asphalt und traten sie mit den Stiefelspitzen aus. Sie starrten mich an, als ich an ihnen vorbeikam. Sie sahen natürlich das Blut auf meinem Hemd und fragten sich wahrscheinlich, was um alles in der Welt während der Sonntagsschulstunde passiert sein mochte, dass ich mich so verletzt hatte. Ich tat so, als würde ich sie nicht sehen, und ging weiter auf Mama zu. Ein paar von den Frauen, die bei ihr standen, sahen mich kommen, und sie tippten ihr auf die Schulter und zeigten auf mich. Sie drehte sich um, und als sie mich sah, stemmte sie die Hände in die Hüften und wartete, bis ich bei ihr war, damit sie nicht laut sprechen musste.
    »Was ist mit deiner Hand?«, fragte sie, aber bevor ich antworten konnte, kam Pastor Chambliss durch die Menge und blieb genau vor uns stehen. Er sah zu mir runter und dann ergriff er mit seinen glatten rosa Fingern meine Hand und hob sie hoch, um sie sich genau anzusehen. Er hielt sie fest, als würde er sie nie mehr loslassen wollen.
    »Sieh an«, sagte er. »Der liebe Gott kann mit der einen Hand heilen und mit der anderen Leid zufügen.« Er lächelte. »Das ist die Macht eines gewaltigen Gottes.«
    Eine von den Frauen, die bei uns standen, sagte: »Amen.«
    Ich wollte meine Hand wegziehen, aber es ging nicht, weil er sie zu fest hielt. Er sah zu Stump rüber und streckte den Arm aus, um auch ihn anzufassen, aber Stump drückte sich näher an Mama ran, als wollte er ihm ausweichen. Pastor Chambliss lächelte.
    »Kommt ihr zum Abendgottesdienst?«, fragte er Mama.
    »Ich denke, das lässt sich einrichten«, sagte sie.
    »Ihr solltet kommen«, sagte er. Er ließ meine Hand los und nickte Stump zu. »Weil ich nämlich glaube, dass der Herr noch nicht fertig mit ihm ist. Es war ein guter Anfang, aber ich glaube, er ist noch nicht ganz fertig mit ihm.«

    »Also, erzähl’s mir noch mal«, sagte Mama. Sie setzte Daddys Pick-up rückwärts aus der Parklücke und fuhr auf die Straße. Der Wagen vibrierte ein bisschen, als sie ordentlich Gas gab, um uns auf Tempo zu bringen. Stump saß

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