Fummelbunker
Blut. Feine Haare kräuselten sich über die ersten Fingergelenke, sie waren ganz weich. Sein Handballen war teilweise verhornt, auf dem Hautlappen zwischen Daumen und Zeigefinger verheilte eine kleine Schnittwunde. Das Handgelenk seines anderen Armes zierten drei Armbänder, darunter das Lederband mit dem L der Liberatio. Ich beugte mich vor und warf einen Blick darauf. Auf der Rückseite stand ein Datum Ende Juni.
Ich betrachtete sein Gesicht. Die Züge waren entspannt, feine Krähenfüße verlängerten seine Lidfalten. Er hatte lange, dichte Wimpern, darüber schlugen seine Augenbrauen einen harten Bogen. Sein Oberlippenbart war ordentlich getrimmt, aber entlang des Kiefers überwuchsen die Barthaare nur wenig erfolgreich ein paar Lücken. Ich strich ihm eine Haarlocke aus der Stirn. Er hatte eine kleine Narbe am Haaransatz.
Zwei schäkernde Krankenpfleger schlenderten über den Flur. Ich hörte ihre quietschenden Gummisohlen und ihr Gelächter, das alles andere als ansteckend war, denn es war diffamierend. Sie näherten sich dem Zimmer.
»Glaubst du, Nazis sehen kleine Hakenkreuzchen, wenn sie eine cerebrovaskuläre Ohnmacht haben?«
Gelächter.
»Wenn ein Nazi den Löffel abgibt, muss man ihm erst mal den Arm brechen, um ihn in den Sarg zu kriegen.«
»Warum?«
»Wegen des Hitlergrußes.«
Lachend traten sie in das Krankenzimmer und ich musste ihnen mit einem derart abscheulichen Blick entgegengeblickt haben, dass sie umgehend kehrtmachten.
Einige Minuten später trat der Arzt aus dem Erdgeschoss an meine Seite.
»Sie sollten jetzt nach Hause gehen«, schlug er mir sanft vor. »Hinterlassen Sie uns auf der Station Ihre Handynummer und wir rufen Sie sofort an, wenn sich etwas tut.«
Ich wandte mich zu ihm um. »Darf ich noch etwas bleiben?«
»Es tut mir leid, aber die Besuchszeit für Intensivpatienten ist seit über einer halben Stunde vorbei. Eigentlich dürften Sie nicht mehr hier sein. Wir haben strikte Regeln.«
Ich stimmte ihm zu. Eigentlich dürften wir beide nicht hier sein.
Ich stand auf.
»Es gibt noch eine Sache, bei der Sie mir helfen können«, sagte er und durchblätterte die Papiere auf seinem Klemmbrett. »Herr Pankowiak trug einen Notfallausweis bei sich. Demnach sollte im Notfall eine Frau Julia Pankowiak benachrichtigt werden. Wir konnten sie nicht ausfindig machen. Kennen Sie diese Frau?«
Ich nickte schwach. »Gregor Pankowiak ist Witwer. Julia war seine Frau. Er hat niemanden mehr.«
Er schaute mich an. »Nun ja. Er hat ja immer noch Sie.«
Alexander saß mit überkreuzten Beinen im Wartesaal und las eine Frauenzeitschrift aus dem Lesezirkel. Als er mich sah, warf er das Heft auf den Stuhl neben sich und stand auf.
»Wie sieht es aus?«, fragte er.
»Er lebt noch.« Tränen schossen mir in die Augen und ein dicker Kloß setzte sich in meinem Hals fest. Alexander nahm mich in den Arm.
»Soll ich dich nach Hause fahren?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Aber hier kannst du nichts für ihn tun.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Aber ich kann einfach nicht nach Hause.«
»Warum nicht?« Voller Unverständnis musterte er mich. Irgendwann löste sich die Strenge und es dämmerte ihm.
»Du kannst die Nacht auch bei mir verbringen, wenn du möchtest.« Er schäkerte. »In der Wohnung eines Polizisten bist du in Sicherheit.«
Ich schmunzelte in Anbetracht der Tatsache, dass es erst vier Uhr am Nachmittag war, aber ich schwieg. Er küsste meine Stirn. »Ruf mich an, wenn du so weit bist. Ich hole dich ab.«
Die Krankenhauscafeteria war eine L-förmige Nische mit ausgedienten roten Stühlen auf einem abgenutzten roten Teppich. Es roch nach Kaffee und Gefrierbrand, das Halogenlicht über mir flackerte im kalten Weiß. Mittlerweile war es kurz nach sechs und die Bedienung hinter der Glastheke schmierte ihre 25. Brötchenhälfte. Belegte Brötchen gingen besonders gut über den Tisch; meistens die mit Käse.
Ich saß auf dem Platz neben dem Ausgang und zerdrückte das Sprühsahnehäubchen auf meinem kakaohaltigen Heißgetränk. Mit der anderen Hand hielt ich mein Handy ans Ohr. Ansmann hing am anderen Ende der Leitung und schwieg in den Hörer. Der Akku wurde schwach und ich mit der Zeit ungeduldig.
»KHK Ansmann. Sie blockieren die Leitung für die Ärzte.«
Er brummte. »Und Sie blockieren die Ermittlungen.«
»Wie bitte?«
»Ich brauche Informationen!«
»Dann gucken Sie den Discovery Channel.« Die Sahne versank wie ein Eisberg im Kakao.
Jetzt begann er zu toben.
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