Fummelbunker
weit über den normalen Haaransatz hinaus wucherte. Metin war Detektiv auf dem Papier sowie Ladeninhaber der Detektei Tozduman Securities in Wattenscheid und verbrachte die meiste Zeit damit, seinen abgegriffenen weißen Ledersessel im Laden bis aufs Metallgestänge durchzusitzen. Wir kamen miteinander klar, solange er seine Griffel von meinem Wagen ließ und ich ihm nicht die Staatsmacht ins Haus schleppte. Er hasste die Schmier. Und er hasste meinen Wagen.
»Hast wohl jemand anderes erwartet, was?« Er sah zu mir auf. »Mann, du siehst mal wieder richtig scheiße aus.«
Ich war mit Grashalmen besudelt, Schmutzflecken prangten auf meinen Knien. Meine Wange war aufgekratzt und ich fürchtete, ich hatte eine Beule am Kopf. »Ich lag zwischen den Brombeersträuchern«, erklärte ich.
Metin warf die Arme hoch, als würde es ihm wie Schuppen von den Augen fallen. »Stimmt. Hatte ganz vergessen, dass du dir noch eine Kugel in den Kopf jagen lassen wolltest.« Mit Wucht schlug er mir seine flache Hand gegen die Stirn.
»Hey!« Ich taumelte und nölte: »Übertreib nicht.«
»Was glaubst du, was er macht, wenn er dich dabei erwischt, wie du ihn beschattest?«
»Wir sind gut befreundet. Er tut mir schon nichts.«
»Dönekes. Du kennst ihn gerade mal einen Monat. Ich kenne ihn seit zehn Jahren und trotzdem suche ich auf dem Parkplatz nach seinem Heizöl-Ferrari, ehe ich hier reingehe.«
Wir machten ein paar Schritte über die Wiese. Der Geruch von Torf und Schnittblumen, die in ihren Plastikvasen verfaulten, machte die Luft sämig. Wie Grieß blieb sie mir im Halse stecken, als wir an Julias Urnengrab herantraten. Ihr Grabstein war nicht größer als das Blatt eines Zeichenblockes. Eine flache Buchsbaumhecke umsäumte das unscheinbare Rechteck, in welchem hauptsächlich Erde und Efeu wohnten. In Gedenken an den Tag, an dem sie starb – heute vor fünf Jahren – bekleideten außerdem ein Strauß roter Rosen sowie zahlreiche Grabkerzen die Parzelle. Im August wäre sie 37 Jahre alt geworden.
»Du bist umsonst gekommen. Panko ist gerade außer Landes«, erläuterte Metin.
Mein Kopf warf einen kugeligen Schatten auf das Grab. »Kanntest du sie?«
»Nein«, antwortete Metin.
Eine alte Frau schlich mit einem befremdlichen Blick an uns vorbei und zögerte, als sie auf unserer Höhe war. Ihr silbernes Haar war dauergewellt und ihre rosafarbene Kopfhaut schimmerte durch. Offenbar kam es in Bochum-Linden nicht alle Tage vor, dass ein Muslim auf dem katholischen Friedhof einer Toten huldigte.
»Warum kommst du überhaupt hierher?«, fragte ich ihn.
»Weil Karim mein Bruder war.«
»Aber Karim liegt nicht hier.«
Er guckte mich an. »Weiß ich doch. Aber ich hab keinen Bock, jedes Jahr nach Istanbul zu fliegen.« Wie ein Gaul scharrte er mit dem Fuß. »Außerdem ist es bei den Katholiken viel schöner. Guck, allein der Stein und die Blümchen überall. Wirklich schnuckelig.« Er zwinkerte. »Bevor ich den Löffel abgebe, konvertiere ich. Ich schwöre.«
Dass er keinen Bock auf Istanbul hatte, kaufte ich ihm nicht so recht ab. Eher glaubte ich, dass ihn Schuldgefühle plagten. »Hat Karim dir jemals gesagt, dass er es getan hat?«
Metins kontinentale Stirn legte sich in Falten, was aufgrund des Speckgehaltes äußerst anstrengend aussah. »Nein. Aber für ihn gab es keine weißen Trauben im Jenseits, so viel ist sicher.« Er stupste mich aufmunternd an. »Komm, lass uns die Biege machen. Wo steht dein Kugelporsche?«
Damit war mein Renault Twingo Baujahr 93 gemeint. Vor sechs Wochen hatte ein Türke mit Pferdeschwanz eine Packung Haushaltslack über mein Auto gerollt. Der Lack war asphaltgrau, matt und gefurcht. Auf der Motorhaube warf er Blasen, über den Radkästen zeigte er erste Risse. Auf frisch geteerten Straßen würde sich der Wagen einfügen wie die Camouflage der Bundeswehr im Weitmarer Holz. In Wattenscheid und Bochum gab es allerdings keinen Teer, sondern nur alten Asphalt mit Schlaglöchern, die so groß waren, dass Igel ihren Winterschlaf darin verbringen konnten.
»Er steht auf dem Parkplatz des Autohauses gegenüber. Auf dem Friedhofsparkplatz wäre er nur aufgefallen.«
Metin tätschelte meinen Kopf. »Kluge Blondette. Du lernst dazu.«
Nach einem ordentlichen Fußmarsch schwang ich mich auf den Fahrersitz meines Twingos und stieß mir die Birne an der Dachsäule. Ich befuhr die Hattinger, ließ das Kruppviertel links liegen und parkte den Wagen fünf Minuten später auf dem Seitenstreifen
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