Fundort Jannowitzbrücke
leicht vorgebeugt und den Kopf müde gegen den eisigen Wind gelegt. Er erinnerte Michael an einen altersschwachen Terrier, langsam und den Blick vom grauen Star getrübt.
»In den Berufsverkehr bis du wohl nicht geraten«, stellte Wolfgang Herzberger nüchtern fest.
»Tut mir leid«, sagte Michael. »Mein Auto ist mal wieder nicht angesprungen.«
Sein Chef warf einen trübem Blick auf den Golf. »Tu ihn in die Presse«, sagte er tonlos.
Michael schlug die Autotür zu und sah hinüber zum Tatort. Eine Streifenpolizistin saß mit einem älteren Mann auf einem Stein und sprach beruhigend auf ihn ein. Offenbar war er der Zeuge, der die Leiche gefunden hatte.
»Was machst du eigentlich hier?« fragte Michael seinen Vorgesetzten.
Er winkte ab. »Wer soll denn schon hiersein außer mir?«
»Aber wenn wir eine neue Leiche haben, ist doch das Team sofort auf die alte Größe aufgestockt, oder?«
Der Mann stieß einen tiefen Seufzer aus. »Die Kollegen behaupten immer, daß sie vom Telefon nicht geweckt worden sind. Inzwischen bin ich davon überzeugt, daß sie nachts das Kabel aus der Wand ziehen.«
Michael beobachtete, wie zwei Sanitäter die Leiche auf eine Bahre legten und sie zudeckten. Offensichtlich waren die Ermittlungsarbeiten vor Ort schon weit fortgeschritten. Die Ärztin aus der Gerichtsmedizin sprach mit zwei Beamten in Zivil, die Michael nur flüchtig kannte.
»Wer sind denn die beiden Typen da hinten?«
»Das sind die Kollegen von der Achten Mordkommission«, sagte Wolfgang. »Sie haben die Ermittlungen übernommen.«
Michael sah ihn überrascht an.
»So wie es aussieht, hat die Sache hier nichts mit unserem Täter zu tun«, erklärte er. »Die Einsatzzentrale hat wohl die Fakten überbewertet.«
Michael betrachtete das Treiben der Kollegen hinter der Absperrung. Die Kälte fraß sich langsam durch seinen Pullover. Er spürte Erleichterung in sich aufsteigen. Es bestand eine gute Chance, den Fundort einfach wieder verlassen zu dürfen.
»Und was sind die Fakten?« fragte er.
»Der Mann dort drüben neben der Polizeimeisterin hat seinen Hund ausgeführt und ist über die Leiche der jungen Frau gestolpert. Sie ist wohl auf dem Bürgersteig vom Fahrrad gerissen und auf den Parkplatz gezerrt worden. Dort wurde sie erwürgt. Das reichte in der Zentrale wohl aus, um an unseren Würger zu denken.«
»War es denn eine sexuell motivierte Tat?«
Wolfgang zuckte mit den Schultern. »Ihre Jacke und das Hemd waren aufgerissen, doch der Erkennungsdienst geht davon aus, daß dies bei einem Kampf passiert ist. Es gibt erst einmal keine Anzeichen für ein Sexualdelikt.«
»Und ein abgeschnittenes Stück Wäscheleine lag auch nicht neben der Leiche?« versuchte Michael einen Witz. Wolfgang Herzberger lachte tatsächlich zum ersten Mal in dieser Nacht.
»Nein, das nun wirklich nicht«, sagte er.
Die Rechtsmedizinerin sah zu ihnen herüber. Michael kannte lediglich ihren Namen, Dr. Freythal. Eine attraktive ältere Frau mit blonden Haaren und ausgeprägten Lachfalten.
»Wolfgang Herzberger!« rief sie über die Absperrung und schob sich unter dem Band hindurch.
Mit wachen und freundlichen Augen kam sie auf ihn zu. Ihre Nase war auffallend gerötet, und Michael fragte sich insgeheim, ob das an der Kälte oder am Alkohol lag.
»Die Leiche wird ins Institut überführt«, sagte sie und begrüßte ihn mit einem leichten Nicken. »Ich beende hier erst einmal meine Arbeit.«
»Hast du noch etwas feststellen können?« fragte Wolfgang.
»Nichts, was auf ein Sexualdelikt hinweist. Kein Freilegen des Schambereichs, keine Fixierung auf Bauch- und Brustbereich, keinerlei Anzeichen von Spermaspuren.«
»Was ist mit den Würgemalen?« wollte Wolfgang wissen.
»Soweit ich das zu diesem Zeitpunkt beurteilen kann, würde ich sagen: Tod durch Einwirkung auf die Atemwege.
Doch die Würgemale am Hals sind nicht die einzigen Verletzungen, die das Opfer davongetragen hat. Es muß einen intensiven Kampf gegeben haben. Der Täter oder die Täterin muß erhebliche Biß- und Kratzwunden davongetragen haben. Meinen Bericht bekommst du morgen abend.«
»Das heißt für dich also auch Sonntagsarbeit«, sagte Wolfgang mitleidig.
Sie tat es mit einer Bewegung ab. »Darüber denke ich jetzt gar nicht nach«, sagte sie fröhlich. »Jetzt geht es erst einmal zurück auf die Hochzeit meines kleinen Bruders.«
Michael sah überrascht auf. »Es ist gleich vier!« entfuhr es ihm.
»Na, dann geht es doch erst richtig los !« rief Dr.
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