Funkensommer
verlangte sie, dass er die seltenen Herrgottslöffel für sie pflücken solle, die nur in den drei Vollmondnächten des Monats erblühen. Denn die Blume könne einzig von einem Mann gepflückt werden, der Schweigen zu bewahren verstehe. Spräche er aber über die Blume und vor allem über ihre besondere Heilkraft, so würde sie augenblicklich ihre Wirkung verlieren.
Der Bauer willigte ohne Zögern ein. Er werde bestimmt nichts über die Blume verraten, versprach er. Und dafür bekam er, wie vereinbart, die begehrte Medizin.
Eilends lief er nach Hause und brachte seiner Frau das Fläschchen. Kaum hatte die todgeweihte Frau von der Medizin genommen, gesundete sie und ihr schon erkalteter Körper wurde wieder mit Leben erfüllt.
Die Freude war groß – deshalb hatte der Mann sein Versprechen gegenüber der Moorhexe auch nicht vergessen! So kehrte er beim nächsten Vollmond in den Wald zurück, um nach den Herrgottslöffeln zu suchen, so wie ihm die Hexe aufgetragen hatte.
In der Zwischenzeit aber hatte die Ehefrau herausgefunden, warum sie plötzlich so schnell genesen war. Und als sie bemerkte, wie ihr Mann in einer Vollmondnacht die gemeinsame Bettstatt verließ, packte sie eine rasende Eifersucht. Denn der Moorhexe sagte man nicht nur ein gutes Herz nach, sondern auch betörende Schönheit.
Die Bauersfrau saß die ganze Nacht lang wach und grämte sich sehr. Am nächsten Tag wollte sie von ihrem Mann wissen, wohin er letzte Nacht verschwunden sei, doch wie abgemacht verriet der Mann nichts. Das machte die Frau noch misstrauischer. So legte sie sich in den nächsten beiden Nächten auf die Lauer und erkannte mit großem Schmerz, dass der Mann tatsächlich in den Moorwald verschwand. Dabei wurde sie irr vor Eifersucht und begann grässliche Lügen über die Moorhexe zu verbreiten.
Wurde ein Kind im Dorf mit einer Warze geboren, rief sie: ›Die Moorhexe war’s! ‹ Brach dem Müller zweimal hintereinander das Mühlrad, raunte sie: ›Das geht nicht mit rechten Dingen zu! ‹ Und als ein schreckliches Unwetter übers Land brauste und sämtliche Getreidefelder vernichtete, da brüllten schließlich auch die Dorfbewohner: ›Die Moorhexe muss weg von hier! ‹
So erhoben sie sich und marschierten hinaus in den Wald. Sie packten die Hexe, banden eine Baumwurzel an ihre blanken Füße und stießen sie vom Felsen, hinein in den dunklen Moorsee. Die Hexe ertrank jämmerlich.
Seit diesem Tage ist der Felsen verflucht. Denn als Rache soll sich die Moorhexe dann und wann eine Jungfrau, eine Unschuldige aus dem Dorf holen. Viele Mädchen, so heißt es, mussten ihr Leben auf dem Jungfrauenfelsen lassen. Sie alle stürzten sich aus Wahn ins Wasser. Und wenn der Nebel aufsteigt, dann soll man diese armen Seelen auf der Wasseroberfläche sogar tanzen sehen. «
»Ich hasse die Geschichte«, stöhnt Jelly neben mir und springt auf. »Gehen wir. Der Nebel kommt!«
»So eine lahme Story«, mault Tobias. »Was soll daran gruselig sein? Weiberkram ist das!«
»Halt die Klappe«, giftet Jelly. »Was weißt du schon – sicher nicht, dass hier vor ein paar Jahren tatsächlich jemand ertrunken ist!?« Mit angsterfülltem Blick sucht sie meine Augen. »Stimmt doch, oder? Das hat uns deine Oma immer erzählt. Weißt du noch?«
Ich nicke langsam.
»Huuu – jetzt fürchte ich mich aber richtig! Die arme Seele hat sich wohl in die Fluten gestürzt, weil sie noch Jungfrau war!«, spottet Tobias und nimmt darauf einen kräftigen Schluck aus der Bierflasche. »Dann brauchst du ja eigentlich eh keine Angst zu haben …«, hängt er rülpsend dran.
Überrascht sehe ich Tobias an, doch bevor ich etwas sagen und Jelly ihm an die Gurgel gehen kann, schneidet Finn seinem Freund das Wort ab: »Tobias findet eben nur Geschichten mit Kettensägen und Blutgemetzel gruselig. Ich habe mich aber richtig gefürchtet«, sagt er in versöhnlichem Ton und hält uns zum Beweis seine Hand hin. »Schaut selbst – ich zittre immer noch!« Er lächelt mich an.
Grübelnd lasse ich mich von ihm auf die Beine ziehen. »Schon gut. Ich muss sowieso nach Hause!«, sage ich, und fange an, unsere Sachen einzupacken.
Als wir schließlich im Gänsemarsch zu den Fahrrädern tapsen, klingelt mein Handy. Ich habe eine SMS bekommen. Neugierig öffne ich die Nachricht. Doch was ich dort lese, lässt mir die Nackenhaare zu Berge stehen. Hastig halte ich Jelly mein Handy hin. »Lies mal.«
Auch meine Freundin reißt die Augen auf. »Die spinnt ja«, flüstert sie
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