Funkensommer
empört und gibt mir das Handy zurück.
Mit klopfendem Herzen schaue ich noch mal auf das Display: Dafür wirst du büßen, dass du mir den Freund ausgespannt hast. Bauerntrampel! ,steht da.
»Was soll ich denn jetzt machen?«, flüstere ich panisch.
»Nichts«, antwortet Jelly. »Morgen Mittag ist Goldlöckchen schon auf Ibiza. Dort kann sich die Kuh von einem sonnengebräunten Surferboy über ihren Verlust hinwegtrösten lassen!«
»Hoffentlich«, sage ich und bin froh, als wir den Parkplatz erreichen. Dass ich in den Nebelschwaden eine Gestalt gesehen habe, behalte ich lieber für mich. Dabei kommt mir eine von Papas Bauernregeln in den Sinn: Ist es abends noch so lau, am Wässer tanzt die Nebelfrau.
Mich fröstelt.
Fest der Mäuse
Der nächste Tag ist furchtbar. Wie ein verschrecktes Huhn schleiche ich ums Haus, helfe Mama beim Ribiselsaft-Machen, bringe Papa etwas zum Trinken aufs Feld oder hänge bei Lanzelot herum. Ruhe finde ich dabei keine, denn nur ein Gedanke verfolgt mich: Hat Lena etwas verraten? Und wenn ja – was dann? Während ich Lanzelot bürste, versuche ich mich krampfhaft daran zu erinnern, ob Lena erwähnt hat, um welche Uhrzeit ihr Flieger nach Ibiza geht. Auf alle Fälle heute – aber wann genau? Vormittags? Dann wäre sie jetzt schon in der Luft … hoffentlich!
Leise schicke ich ein Stoßgebet zum Himmel, da höre ich Raphaels Audi die Hofeinfahrt heraufrauschen. Raphael stellt den Motor ab, dreht die Musik lauter und holt den alten Staubsauger aus der Garage. Anscheinend will er seine Karre putzen. Das ist ein gutes Zeichen! Hätte Lena etwas gesagt, würde mein Bruder jetzt bestimmt anders reagieren. Vorsichtig stecke ich die Nase aus der Stalltür.
»Ist was?«, fragt er.
»Nein«, antworte ich.
»Dann schau nicht so blöd!«
Ich seufze. Teils aus Erleichterung, weil Raphael wirklich nichts zu wissen scheint. Teils aus Frust, weil er in der letzten Zeit einfach immer schlechte Laune hat.
»Mit dir kann man nicht mehr normal reden«, sage ich.
»Was weißt du schon«, brummt mein Bruder und schaltet den alten Staubsauger ein.
»Dann sag es mir halt«, versuche ich ein Gespräch anzufangen. »Früher haben wir uns doch auch immer alles sagen können!«
Raphael schaut mich nicht einmal an, als er antwortet: »Was soll ich dir schon sagen wollen.«
Ich zucke mit den Achseln. »Weiß nicht.«
»Eben«, murrt er und bugsiert den Staubsauger auf die andere Seite, damit er auch den Beifahrersitz sauber machen kann. Ein paar leere Bierflaschen rollen auf dem Autoboden herum. Angewidert drehe ich meinem Bruder den Rücken zu, da höre ich, wie er sagt: »Du hast es gut …«, der Rest wird vom Staubsaugerlärm verschluckt.
Irritiert werfe ich einen Blick über meine Schulter. Raphael hat sich seine kurzen Haare zu Stacheln hochgegelt. Mit dem engen T-Shirt schaut er ziemlich sportlich aus. Seine Hände sind sauber. Seine Klamotten auch. Der Audi blitzt im Sonnenlicht. Das Auto hat er sich vom ersparten Lehrlingslohn gekauft. Gleich nachdem er die Führerscheinprüfung bestanden hatte. Nun kann er überall hin, ist unabhängig. Er ist achtzehn. Er hat einen Job. Ein Auto. Und Freizeit ohne Ende. Und trotzdem: Glücklich wirkt mein Bruder nicht. Warum nicht?
Einen Moment überlege ich, ob ich ihn darauf ansprechen soll, aber auf seine dummen Sprüche bin ich nicht wirklich scharf. Mama und Papa machen alles Mögliche, damit es ihm wieder besser geht. Sie waren bei allen Ärzten in der Umgebung. Er wurde akupunktiert und sogar kurzzeitig von einer Psychotherapeutin betreut, doch die Behandlung hat er sehr schnell abgebrochen.
Und neuerdings, da hat Mama ihre ganze Hoffnung auf eine Handauflegerin gesetzt. Antonia Brugger heißt sie und soll schon vielen Leuten geholfen haben. Die alte Waldbäuerin hat Mama den Tipp gegeben. Keine Ahnung, was eine Handauflegerin macht – aber Mama ist sehr angetan. Seitdem essen wir zu Hause gesund: also keinen weißen Zucker mehr, dafür lieber Vollkornbrot und so. Anscheinend soll Raphael auf diese Art seine Heustauballergie loswerden … mhm, dafür müsste sich der Kerl aber erst an die Diät halten. Tut er aber nicht! Er säuft und frisst, wie es ihm in den Kram passt. Kein Wunder – immerhin ist die Allergie sein Ticket in die Freiheit!
»Wenn du die ganze Zeit nur herumstehst, kannst du mir wenigstens helfen«, brummt nun Raphael neben mir.
»Sonst noch was«, sage ich und mache mich aus dem Staub. Ich habe Wichtigeres zu tun. Mir ist
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