Funkensommer
wartete auf den letzten Bus des Tages, der die große Runde um den See drehen und im Dorf halten würde. Die meisten Schüler waren längst zu Hause. Fast alle wohnen in der Stadt. Oder ihre Busverbindung ist günstiger als die nach Tieglitz. Irgendwann hörte ich, wie das schwere Schultor ins Schloss fiel. Und als ich mich fragte, wer um diese Zeit in der Schule noch herumgeistern würde, stand er plötzlich vor mir: Finn. Und lächelte mich an. Wir quatschten eine Weile. Ganz locker. Einfach so. Dies und das. Über die Schule. Und über die Lehrer. Welche cool und welche uncool sind. Dann kam der Bus. Tieglitzer Moorsee – Große Runde stand in roten Lettern auf dem Anzeigenblatt.
»Das ist meiner«, sagte ich und schulterte meine Tasche. Finns Antwort darauf überraschte mich. »Meiner auch«, sagte er und ließ mir den Vortritt, als er mit mir in den Bus einstieg.
Erst einige Zeit später begriff ich, wer Finn überhaupt war. Nämlich der Sohn von Raphaels Chef. Also der Sohn vom neuen Elektrocenterbesitzer, dessen Familie erst kürzlich hierher gezogen ist. Ab da fing die Sache an kompliziert zu werden.
Wieder höre ich, wie Jelly lacht. Ganz dicht neben mir. »He, wo bist du denn mit deinen Gedanken«, flötet sie und stupst mich an. »Wir gehen zum Imbissstand und holen uns was zu trinken. Kommst du mit?«
Ich schüttle den Kopf. Da beginnt sich neben mir etwas zu regen. Es ist Finn, der zum Leben erwacht. »Habt Erbarmen und bringt dem halb Verdursteten eine Cola mit, ja?«, krächzt er mit belegter Stimme. »Oder noch besser, zwei!« Er kramt einen Fünfeuroschein aus der Hosentasche und drückt ihn Tobias in die Hand.
»Geht klar, Alter«, grinst Tobias und macht sich mit Jellena in Richtung Imbissbude davon. Händchen haltend.
Als die beiden im Unterholz verschwinden, dreht sich Finn auf meine Seite. Dabei streift seine Hand mein Knie. Ein Schauer rieselt mir über den Rücken.
»Wie geht’s?«
»Gut«, sage ich.
»Und Brummer?«
Oh! Er hat es nicht vergessen! Tomatensuppenfarbe schießt mir ins Gesicht. »Auch gut. Glaube ich zumindest. Ich war heute noch nicht im Stall!«
Finn sieht mich mit gespielt entgeisterter Miene an. »Was?«, raunt er heiser. »Du kannst unseren Brummer doch nicht so vernachlässigen. Wofür haben wir ihm schließlich das Leben gerettet?«
»Wegen zukünftiger Schnitzel?«, rutscht es mir heraus. Finn aber lacht mich an und drückt mir einen sanften Kuss auf die Lippen. Mein Herz schlägt einen Purzelbaum und alle Zweifel sind mit einem Mal wie weggeblasen.
Als ich wieder die Augen aufschlage, fragt er: »Kommst du mit? Ich brauche Abkühlung.« Er greift nach meiner Hand und zieht mich in Richtung Seeufer. Als wir auf den Felsen klettern, halten wir uns immer noch an den Händen. So springen wir auch. Gemeinsam. Händchen haltend ins tiefe schwarze Loch.
Als wir auftauchen, lacht Finn: »Außer dir kenne ich kein einziges Mädchen, das sich traut, von diesem Felsen zu springen!« Er zieht mich zu sich rüber und schaut mir dabei ruhig in die Augen. »Ganz schön cool, finde ich!«
»Hab ich bei meinem Bruder gelernt. Mehr oder weniger freiwillig.« Ich muss ebenfalls lachen. »Irgendwann bin ich dann von selbst gesprungen. Ab da fand ich es auch gut. Vorher nicht so …«
Finn legt seinen Arm um mich. Dann küssen wir uns noch einmal. Und noch einmal. Und erst als wir ganz schrumpelige Fingerspitzen haben, beschließen wir, aus dem Wasser zu gehen.
Inzwischen sind Tobias und Jelly mit zwei eiskalten Colas zurückgekommen. Finn drückt mir eine davon in die Hand. Dabei sieht mich Jelly triumphierend an. »Also doch«, flüstert sie mir ins Ohr.
Ich runzle die Stirn und weiß nicht, was ich sagen soll. Der Nachmittag ist einfach zu schön! Zu schön, um kaputt gemacht zu werden. Nur damit ich die Fassade aufrechterhalten kann. Meine Fassade. Und während wir am Seeufer sitzen, Jelly mit Tobias, und ich mit Finn, verschwende ich nur flüchtig einen Gedanken daran, was wäre, wenn jeder wüsste, dass ich in Finn verliebt bin. Denn ich, Hannah Seibner, bin in Finn Delorn verliebt. Das ist so klar wie Papas Birnenmost. So klar wie eine seiner beschissenen Bauernregeln, die besagt: Ist der Johannihimmel hell und klar, wird es wohl ein heißes Jahr. Und ist der Himmel über unseren Köpfen nicht gerade hell und klar, und vor allem blau? Ja, blau ist er. So blau wie selten.
Auch nach zwei Wochen will die Hitzewelle nicht nachlassen. Die Getreidefelder sind
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