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Funkstille

Funkstille

Titel: Funkstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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einen erheblichen Einfluss, gerade wenn es um Gewalt geht. In Populärtheorien ist es immer die Mutter, von der man sich fragt: Hat sie das Kind zu stark gebunden, hat sie es vernachlässigt? Natürlich sind das Theorien, die von Männern formuliert wurden. Die Kinder haben bestimmte Veranlagungen, und es ist immer die Frage, wie sind die Eltern in der Lage, ihre Kinder entsprechend diesen Anlagen zu erziehen – und es gibt dieses Idealbild von Mittelstandseltern, nämlich dass die Eltern immer Zeit und Kraft haben, sich um ihre Kinder zu kümmern. Das berücksichtigt nicht, dass es Eltern gibt, die das einfach nicht schaffen, weder emotional noch aus ihren Verstrickungen in Partnerschaften oder aus ökonomischen Gründen«, so Udo Rauchfleisch.
    »Ich kam nicht zu ihm durch«
    Ich treffe Isabella M., die Mutter von Jan, einem Freund. Von vornherein ist klar, dass sie für den Film, den ich mache, nicht vor die Kamera gehen wird, denn sie ist selbständige Unternehmensberaterin, die Wert auf Diskretion legen muss, weil sie Kunden betreut. Die Funkstille scheint ein Makel zu sein, scheint von Unfähigkeit und einem Mangel zu zeugen, sonst würden sich die Betroffenen nicht so bedeckt halten. Ich sitze in einem liebevoll eingerichteten Wohnzimmer einer bildhübschen, etwa 60-jährigen Frau gegenüber, die ihre rot lackierten Nägel in die Sofakissen krallt. Sie trägt ein schickes Sommerkleid. Der kräftige Kajal umspielt die Augen ausdrucksstark, und der rote Lippenstift passt zum Haar. In meine ersten optischen Eindrücke hinein beginnt sie ihre Geschichte zu erzählen. Das »Drama«, wie ihr Sohn Jan es nennt, kenne ich in diesem besonderen Fall bereits aus der Sicht des Abbrechers.
    »Vor der Funkstille stritten wir viel. Mein Sohn warf mir vor, dass ich sein Leben versaut, ihn mit meiner Liebe erdrückt und ihn zur Unselbständigkeit erzogen hätte«, so Isabella M. Stimmt, denke ich, Jan wirft seiner Mutter tatsächlich vor, dass sie ihn zu sehr liebte, ihn wie ein »Schmusetierchen« behandelte, dass die Beziehung neurotisch, ja symbiotisch war. Was war passiert, bevor Jan den Kontakt abbrach? Wie ist Isabella M.s Version des »Dramas«, will ich wissen. Sie steht auf und holt eine Flasche Wasser. Spürbar nervös und bewegt beginnt sie zurückzuschauen: »Ich ließ mich scheiden, als Jan zehn Jahre alt war, und danach hatten wir nur uns. Es war sehr eng. Er vermisste seinen Vater und hat dann an mir gehangen wie eine Klette. Zugegeben, auch für mich war er der wichtigste Mensch in meinem Leben«, räumt sie ein. Für sie spürbar angefangen haben die Probleme, als Jan zu studieren begann. Ob er nicht vielleicht schon vorher, in der Pubertät, rebelliert habe, frage ich sie. »Nein«, erwidert die Mutter, »jedenfalls nicht sichtbar, denke ich.«
    Sie erzählt weiter: »Es hat angefangen, kurz nachdem er zu Hause ausgezogen war und mit dem Studium angefangen hatte. Er hatte da schon seine spätere Frau Lara kennen gelernt. Laras Vater war Psychiater, sie selbst beschäftigte sich mit dem Thema Psychoanalyse. Jan war unglücklich darüber, dass ich ihn gebeten hatte, bei mir ausziehen. Ich arbeitete den ganzen Tag, wir hatten eine kleinere Wohnung, und sie wurde für uns zu klein. Seine Freunde hingen da abends rum, es gab keinen Platz für mich. Ich war damals noch angestellt als Personalberaterin. Jan studierte und brachte seine Freunde mit nach Hause. Ich wollte aber auch mal für mich sein. Es wurde mir zu eng. Ich bezahlte sein Studium, bot auch an, ihm eine Wohnung zu suchen und sie zu bezahlen. Das hat er mir wahnsinnig übel genommen. Es war eine tiefe Verletzung, er fühlte sich abgeschnitten. Mit Lara und ihrem Vater kam er darauf, dass in unserer Beziehung etwas nicht stimmte.
    Als ich mal im Krankenhaus war, hatte er mein Auto, sollte mich abholen. Ich bat Lara am Telefon, holt mich ab. Ja, wenn wir Zeit haben, sagte sie nur. Lara hatte großen Einfluss auf Jan. Eines Tages kam ich bei ihm vorbei, und er ließ mich nicht in die Wohnung. Du kannst nicht reinkommen, wir haben Besuch, sagte er, und ich stand draußen auf dem Flur. Er wurde immer ablehnender, bis zu dem Punkt, an dem er mich zu seiner Hochzeit explizit auslud. Ich sei nicht erwünscht. Ich habe ihn immer wieder gefragt: Was ist mit uns? Er hat mich immer nur abgeschmettert, ließ sich auf kein persönliches Gespräch ein, er hat sein Verhalten nie begründet. Ich kam nicht mehr durch zu ihm, konnte ihn nicht mehr greifen. Wenn wir

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