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Funkstille

Funkstille

Titel: Funkstille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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Beziehung ein Wort wie ein Donnerschlag. Es beschreibt den plötzlichen und wortlosen Abbruch einer Beziehung.
    FUNKSTILLE – Es ist ein wissenschaftlich noch unerforschtes Phänomen, von dem noch keinerlei Zahlenmaterial vorliegt – und doch sind mehr Menschen betroffen, als bislang vermutet. Ein plötzlicher Kontaktabbruch, ohne jegliche Begründung, kann das gesamte Weltbild eines Menschen erschüttern. Die Last des Verlustes wiegt schwer. Die Abwendung und Abwesenheit des zuvor nahen Menschen schmerzt. Ratschläge wie »verzeih’ doch!«, »fang’ neu an!« oder »vergiss endlich!« sind gut gemeint, aber völlig nutzlos und gehen an der viel schwierigeren Realität vorbei. Ein Abschluss ist nicht möglich, weil es keinen Abschied gab. Ein Abschied hätte Antworten geben können, Antworten, die einen Kontaktabbruch nachvollziehbar machen.
    Zu Beginn meiner Recherche sprach ich mit über hundert Betroffenen, davon waren etwa ein Drittel Abbrecher. Bald zeigte sich: Weil der Kern des Problems in einem radikalen Abbruch der Kommunikation besteht, ist auch die Kommunikation mit den Betroffenen über das Thema schwierig. Die Abbrecher taten sich schwer damit, überhaupt über die Funkstille zu sprechen. Die Verlassenen wiederum, deren Gedanken oft seit vielen Jahren um dieselben Fragen kreisten, konnten kaum ein Ende finden. Nein, bekam ich immer wieder zu hören, man habe keine Ahnung, warum es zur Funkstille gekommen sei. Und fast immer kam irgendwann die Frage: Gibt es die Chance, sich wieder zu begegnen? Gibt es Paare und Familien, die wieder zusammenfinden – auch nach einer langen Zeit der Funkstille? Und: Müssen »Abbrecher« und »Verlassene« sich nicht grundlegend ändern, um einander wieder begegnen zu können? Kann der Verlassene dem Abbrecher nach einer langen Zeit des Schweigens überhaupt noch trauen?
    Redebedarf über das »Nicht-reden-Können« oder »Nicht-reden-Wollen« gab es also genug, Mutmaßungen zuhauf, aber auch mindestens so viele offene Fragen. Ich versuchte, ein Muster in den Verhaltensweisen der Betroffenen zu erkennen, teilweise mithilfe von Fachleuten, teilweise, indem ich die Geschichten miteinander verglich. Ich fragte mich: Warum können einige Menschen über Konflikte, Verletzungen und unterschiedliche Sichtweisen reden und andere nicht? Oder ist die stille Beschäftigung mit einem Beziehungsproblem vielleicht gar die wirkungsvollere Methode, es zu lösen? Und ich fragte mich: Warum reagieren die Betroffenen bei dieser Problematik schamvoller als beispielsweise Menschen, die ein Kind durch Suizid verloren haben, wie ich es bei meinen Recherchen zu einem Film über den Freitod erlebt habe?
    Die Verletzungen sitzen offenbar tief. Schuld, Scham und Versagensgefühle spielten in meinen Gesprächen mit den Betroffenen eine wichtige Rolle. Überraschend war für mich: Der Verlassene ist nicht per se das Opfer, und dem Abbrecher kann nicht einfach die Täterrolle zugeschoben werden. Vielmehr leiden beide Seiten. Der Abbrecher sieht sich zu seiner Handlung gezwungen, sieht keinen anderen Ausweg. »Wir haben beide geblutet darin«, erklärte eine Abbrecherin, die den Kontakt zur verlassenen Person wieder aufgenommen hat.
    Ich versuchte, mich in die Gefühls- und Gedankenwelt beider Parteien hineinzuversetzen. Beide vertreten ihre subjektive Wahrheit. Wie sich der Kontaktabbruch angebahnt hat, kann im Nachhinein keiner der Betroffenen mehr so genau sagen, nur in vagen Grundzügen umreißen. Auf der Suche nach den Ursachen der Funkstille habe ich mit Psychoanalytikern und -therapeuten gesprochen. Auch sie werden im Folgenden zu Wort kommen.
    Zwei Erkenntnisse beeinflussten schon zu Beginn der Gespräche mein Denken, und sie bestätigten sich mit jedem Wort oder Erklärungsversuch der Abbrecher: Schweigen ist auch Kommunikation! Denn man kann nicht nicht kommunizieren. Es gibt Gründe, die vielleicht nonverbal kommuniziert wurden, und es gilt, dieses Schweigen zu entschlüsseln. Genau das will ich in diesem Buch versuchen. Und ich ahne: Der Moment des Bruchs ist im Nachhinein kaum noch nachzuvollziehen – es ist eine lautlose Explosion, die in dem Moment, in dem sie sich ereignet, unbemerkt bleibt. Die Loslösung fand oft schon vor dem Abbruch statt!
    Maja, eine Abbrecherin, mit der ich gesprochen habe, hat den Kontakt zu ihrer Mutter abgebrochen. Sie erklärt: »Ich hatte die Liebe schon vorher verloren, konnte sie nicht mehr fühlen, spüren, und das machte es für mich an dieser

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