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Furchtbar lieb

Furchtbar lieb

Titel: Furchtbar lieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen FitzGerald
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Mädchen, mit dem ich samstags ausging und das mich für die lustigste Frau hielt, die sie jemals getroffen hatte. Schallend hatte sie über all die Scheinargumente gelacht, mit denen ich meine Typen abserviert hatte, als da waren:
    Peter Fischmann hatte einen Wulstnabel.
    Rob Bothwell spuckte die Kerne seiner Dörrpflaumen auf meinen Teller.
    Giuseppe Conti hatte kein Auto.
    Jimmy McGeogh hatte im falschen Moment im Stehen applaudiert.
    Jonathon Miller war verheiratet.
    Ich setzte mich an jenem ersten Arbeitstag mit Marj zum Mittagessen hin, und sie machte den Fehler, mich zu fragen, wie es Robbie gehe. »Na ja, letzte Nacht hat er von acht bis zehn geschlafen, dann ist er zum Füttern aufgewacht, und dann hat er von zwölf bis halb fünf geschlafen, was nicht schlecht war, aber danach konnte ich nicht mehr einschlafen und habe schließlich darauf gewartet, dass er für sein Morgenfläschchen aufwacht, deshalb bin ich etwas müde.«
    Ich hatte noch nie zuvor gesehen, dass Augen wirklich glasig werden – aber auf Marjs Augen hätte ich Kirschen setzen können. Und mir begann zu dämmern, dass ich genauso langweilig und nörgelig war wie meine pränatalen Freundinnen.
    Nach der ersten Woche war Marj klargeworden, dass meine Welt dramatisch geschrumpft war und ich keine anderen Geschichten zu erzählen hatte. In der folgenden Woche begann ich, mein Mittagessen am Schreibtisch zu essen. Dann fand ich heraus, dass Marjs neue Ausgehfreundin eine junge Frau namens Tilly war, die gerade mit ihrem Freund Toby Schluss gemacht hatte, weil der ihr ein professionelles Porträtfoto von sich geschickt hatte.
    Jeden Morgen um halb zehn fühlte ich mich, als hätte ich eine volle Schicht gearbeitet. Den größten Teil des Tages verbrachte ich in einem Ödland der Vergesslichkeit. Ich saß an meinem Schreibtisch und starrte meinen überquellenden Terminkalender an. Dann sprang ich, als ob jemand »Auf die Plätze, fertig, LOS!« gerufen hätte, mit der geballten Entschlossenheit einer amtierenden Weltmeisterin im Hürdenlauf vom Schreibtisch auf und schritt zielstrebig zur Tür, nur um auf halbem Weg verwirrt stehen zu bleiben. Warum hatte ich meinen Schreibtisch verlassen? Ich ging dann rückwärts und versuchte, meine Schritte zurückzuverfolgen. Meistens hatte ich bloß vergessen, dass ich pinkeln musste.
    Ich fragte mich allmählich, wie ich es jemals geschafft hatte, diese Arbeit zu bewältigen. Bald stapelten sich dreißig Fälle auf meinem Schreibtisch: fünf Kinder aus dem Kinderschutzprogramm, zehn weitere in Pflege, und der Rest kurz davor. Dreißig wütende Eltern schrien mich am Telefon an, oder warteten am Empfang, um mich dort anzuschreien. Es gab Verwaltungspersonal, das sich weigerte, Berichte für mich zu tippen. Es gab Vorgesetzte, deren Fragen ich nicht beantworten konnte. »Was hat der Schulleiter über das Teppichmesser gesagt, Krissie?« »Waren das frische Verbrennungen am Bein?« »Geschwollene Waden?« »Hat sie wirklich Schweinswurst gekauft?« »War es eine blaue oder eine gelbe Valium?«
    Meistens kam ich erst spätabends nach Hause, nachdem ich den ganzen Tag lang Leute in ihren Wohnungen aufgesucht hatte, um in Rätseln zu ihnen zu sprechen.
    »Macht es Ihnen etwas aus, wenn wir hereinkommen?« (Wir kommen herein.)
    »Eine anonyme Quelle sagt, dass Rachel gestern Abend eine Stunde vor der Tür gestanden hat.« (Sie haben sich der Kindesvernachlässigung schuldig gemacht, und ihr Nachbar beobachtet sie.)
    »Ich sehe Spritzen unter dem Fernseher.« (Sie sind ein Lügner.)
    »Ist es Ihnen recht, wenn wir die Kleine über Nacht mitnehmen?« (Wir nehmen sie mit, egal, was Sie sagen.)
    Wenn ich nach der Arbeit endlich zu Hause angekommen war, verbrachte ich den Rest der Nacht damit, mir Sorgen wegen Jimmy Barrs Onkel zu machen, der demnächst aus dem Knast kam, darüber, dass Bob verprügelt wurde, Rob betatscht und Jane in ihrem Kinderwagen vor dem Pub abgestellt. Dies war die härteste und gnadenloseste Arbeit, die man sich vorstellen konnte, und ich hatte nicht nur die Kraft verloren, diesem Druck standzuhalten, sondern auch die Selbstsicherheit, andere zu beurteilen, weil meine eigene Leistung als Mutter so beschissen war.
    Nachdem ich einige Wochen verwirrt auf Gängenstehengeblieben war und schlechten Eltern Vorträge über verantwortungsvollen Umgang mit Rauschmitteln und das Einhalten von Regeln gehalten hatte, klappte ich zusammen.
    Es war Sarah, die mich an jenem Tag von der Arbeit abholte. Sie rief

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