Furchtbar lieb
es sich für mich so an, als ob ihnen etwas Seltsames widerfahren sei, seit sie ihre Kinder zur Welt gebracht hatten. Nicht genug damit, dass von Kichern keine Rede sein konnte, schienen sie sich inzwischen auch in konkurrierende Hexen verwandelt zu haben.
»Ich lasse ihn nie bei mir im Bett schlafen!«, sagte eine der Mütter.
»Man darf es ihnen nicht durchgehen lassen, das ist der Trick«, sagte eine andere.
»Mit sechs Wochen schlafen die meisten durch, aber meine Zara schläft jetzt schon die ganze Nacht.«
»Du bist ganz schön angespannt, Krissie, oder?«
Noch schlimmer war, dass sie ununterbrochen über ihre Männer stöhnten, ohne in ihrer Selbstgefälligkeit daran zu denken, dass ich alles dafür gegeben hätte, einen zweiten Erwachsenen im Haus zu haben: zum Sprechen, zum Teilen der Bürde, zum Lieben.
Aber ihre Männer waren offenbar allesamt nutzlose Schmalzklumpen, die
– IHNEN DURCH DAS HAUS HINTERHERLIEFEN UND VERSUCHTEN, IHNEN AN DIE WÄSCHE ZU GEHEN, ABER SIE WÜRDEN SIE NICHT AN IHRE WÄSCHE LASSEN, OH NEIN.
– ANSCHEINEND NICHT VERSTANDEN, DASS JETZT SCHLUSS WAR MIT DEN ABENDLICHEN BIERCHEN IM PUB AN DER ECKE.
– PAUSENLOS BEAUFSICHTIGT WERDEN MUSSTEN, WEIL SIE EINFACH KEINEN SCHIMMER HATTEN …
Arme Schweine. Wenn ich einen Mann gehabt hätte, mit dem ich Windeln und Worte hätte wechseln können, wäre ich mit Sicherheit das Anti-Stereotyp gewesen: dankbar, liebevoll,umgänglich und immer bereit, ihn an meine Wäsche zu lassen, oh ja. Sie gingen gerade noch rechtzeitig, denn wenn sie auch nur einen Augenblick länger geblieben wären, hätte ich sogar noch lauter geschrien als ihre perfekten, verblödeten Babys.
***
Meine Mutter hatte vermutlich recht mit der postnatalen Depression, aber ich konnte oder wollte es nicht einsehen. Ich konnte überhaupt nichts sehen, wegen der schwarzen Wolke, die meine Welt plötzlich einhüllte.
Sechs Wochen kamen und gingen, und es gab keine Anzeichen dafür, dass Robbie durchschlafen würde. Ich legte mich schlafen und betete, dass er’s täte, aber er tat’s nicht, und ich folglich auch nicht. Stattdessen betrat ich das dunkle Loch einer Schlafentzugspsychose, wo alles öde und elend und sinnlos ist, sogar Schokolade.
Meine morgendliche Routine hatte sich geändert. Früher: Lavazza und ein Bad (beide schaumig), heitere Details im Frühstücksfernsehen, dann ein Spaziergang durch baumgesäumte, architektonisch interessante Straßen. Jetzt: Weinen Pinkeln Scheißen Durchsickern Essen Kleckern Anziehen Kleckern und neue Sachen anziehen.
Zaras Mutti – wir hatten keine Namen mehr, wir pränatale Frauen, wir waren »Zaras Mutti« oder »Beths Mutti« oder »Robbies Mutti« geworden – Zaras Mutti rief mich zu dieser Zeit an und sagte, es bestehe kein Grund zur Sorge, wenn Robbie nicht gut schliefe, denn nach drei Monaten käme ganz klar ein Wendepunkt. Mit drei Monaten würden die meisten Kinder anfangen, etwas »zurückzugeben«, und alles, so versicherte sie, würde gut werden.
Mit sechs Monaten gab Robbie immer noch nichts zurück, und mir wurde klar, dass ich nicht einmal wusste, was »zurückgeben« heißen sollte. Ich rief Zaras Mutti an, um ihr das zu sagen, und sie antwortete: »Na ja, mit neun Monaten wird alles viel besser.«
»Ich glaube dir nicht«, sagte ich. »Du hast mich schon zweimal belogen!«
Als sie meinte, ich solle wirklich mal mit jemandem reden, sagte ich: »Genau das tue ich gerade, ich rede mit dir, aber was hat das Reden für einen Sinn, wenn du mich einfach anlügst?«
Sie legte auf.
***
Nachdem es noch einen Monat so weitergegangen war, beschloss ich, wieder arbeiten zu gehen und mich tagsüber von allen mütterlichen Verpflichtungen freizusprechen. Meine zunehmend besorgten Eltern unterstützten diesen Entschluss und passten gern auf Robbie auf, in den sie sich unsterblich verliebt hatten.
Jeden Morgen öffneten sie bei meiner Ankunft die Tür und umarmten mich. Es war klar, dass sie sich Sorgen um mich machten, aber nichts sagen wollten, um mich nicht aus der Fassung zu bringen. Essen und Milch standen bereit, ehrliche Fürsorge und Aufmerksamkeit ebenso, und so händigte ich ihnen Robbie aus und weinte den ganzen Weg von der Kenilworth Avenue bis zur Kingston Bridge.
***
Es half nichts, wieder arbeiten zu gehen. An meinem ersten Tag konnte ich es kaum erwarten, mit Marj zu reden. Marj war nicht nur eine prima Begleiterin in den Mittagspausen gewesen, sondern auch meine Wochenendgenossin – das
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