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Furchtbar lieb

Furchtbar lieb

Titel: Furchtbar lieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen FitzGerald
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bereitstellte. Sie war mein Fels in der Brandung, meine Beschützerin.
    Sarah und ich hatten uns kennengelernt, als wir vier Jahre alt waren. Ich mochte sie auf Anhieb, weil sie hübsch war und gepflegtes, glänzend blondes Haar hatte und strahlend blaue, puppenhafte Augen. Sie war auf dem Spielplatz nie allein, machte sich nie Sorgen darüber, ob die Leute sie mochten oder nicht, und ihr Anblick war so beruhigend wie das Meer.
    Sarah war alles, was ich nicht war. Sie war vernünftig und fuhr niemals auf Rollschuhen einen steilen Abhang hinab oder verschüttete Saft auf dem Rechtschreibheft. Sie war mädchenhaft. Wenn ich vom Weihnachtsmann Wasserpistolen und Gartenrechen bekam, brachte er Sarah flauschige rosa Sachen und Puppen, die pinkelten und weinten (und mich in den Wahnsinn trieben). Aber der vielleicht größte Unterschied zwischen uns war, dass Sarah sich gern drinnen aufhielt. Sie konnte den ganzen Tag damit verbringen, in ihrem Zimmer mit ihrer»Kullertränchen«-Puppe zu spielen – sie kochte für sie in ihrer Miniküche, sie bügelte ihre Sachen mit einem Minibügeleisen, und sie zog ihr diese komischen Minikleidchen an.
    Ich hingegen hasste es, drinnen zu sein. Ich spielte auf der Straße, im Pollok-Park, in der Einkaufspassage, in den Gärten meiner Freundinnen. Aber wenn ich bei Sarah spielte, blieben wir fast immer drinnen. Wenn ich es während unserer Kindheit überhaupt einmal schaffte, Sarah zum Spielen nach draußen zu locken, dann unter der strikten Bedingung, dass Kullertränchen auch mitkam, und während ich ein Minibaumhaus baute, in das die Puppe entfliehen konnte, fütterte Sarah sie mit Porridge, wischte ihr das Gesicht ab, wechselte ihre Windeln und wiegte sie in den Schlaf.
    ***
    Arme Sarah. So lange ich denken konnte, war ein Baby alles, was sie jemals wirklich gewollt hatte. Als Sarah schwanger werden wollte, rief sie anfangs aufgeregt ihren Mann Kyle in der Praxis an, und brachte ihn dazu, nach Hause zu kommen und es mit ihr zu treiben, weil der Zeitpunkt gerade richtig sei – ihr Sekret klar, ihre Körpertemperatur hoch und sie selbst unheimlich geil. Nachher kicherten sie, wenn er sein Stethoskop auf ihren Bauch legte, um »ihm beim Schwimmen zuzuhören«.
    Aber als die Zeit verging, glaubte Kyle, dass er seine Patienten nicht warten lassen dürfe, oder dass er Hausbesuche machen müsse, und Sarah fragte sich, ob ihr Eisprung vielleicht schwerer zu bestimmen sei, als sie geglaubt hatte. Nach einer Weile kam sie zu dem Schluss, dass er unsichtbar durch den Monat streife und dass sie und Kyle, um ihn zu fangen, jeden Abend Sex haben sollten.
    Das ging zwei Jahre lang so. Sie wurden gut darin. Wer braucht schon Gleitcreme? Ein schmerzhafter Stoß zu Beginn ist ein geringer Preis für Effizienz.
    Aber nach vierundzwanzig Monaten, in denen sie jedenAbend Sex gehabt hatten, schien sich das Sperma immer noch einen Scheißdreck um seine Aufgabe zu scheren.
    Also gab Sarah ihre Stelle auf, denn sie war zu dem Schluss gekommen, dass der Stress auf der Intensivstation sich nachteilig auf ihre Eierstöcke auswirke. Dann nutzte Kyle seinen Einfluss als dienstältester Allgemeinmediziner in der Gemeinschaftspraxis von South Shawlands, um für Sarah eine schnelle Überweisung zum besten Fruchtbarkeitsspezialisten Großbritanniens zu bekommen. Sarah nahm ihre Medikamente, fühlte sich krank und war mürrisch. Sie pflegte ihren Garten nicht mehr mit der gewohnten sanften Fürsorglichkeit, legte die Renovierungspläne für ihr Wochenendhaus bei Loch Katrine auf Eis und klagte ihrer ältesten und besten Freundin – mir – jeden Abend am Telefon ihr Leid.
    »Kyle arbeitet die ganze Zeit! Wieso? Wieso? Wieso?«
    Als sie das erste Mal anrief, schlug ich ihr vor, dass wir miteinander ausgehen und uns betrinken sollten.
    Sarah schrie auf: »Willst du, dass das Baby ein Zwerg wird?«
    Als Nächstes schlug ich ihr vor, gemeinsam essen zu gehen. Nachdem sie mir Muscheln Marinara mit ihrer Bakterienangst auf immer verleidet hatte, machte ich diesen Vorschlag nie mehr.
    Jetzt schäme ich mich zutiefst dafür, aber nachdem Sarah Monat um Monat angerufen hatte, wurde ich der Sache allmählich überdrüssig. Ich hatte ihr wirklich lange mit echtem Interesse zugehört und ihr Ratschläge erteilt. Ich hatte mit ihr geweint, meiner Freundin, deren unerklärlicher Drang nach Mutterschaft in ihrem Innern explodiert war, ohne dass sie die nötige Befähigung dazu gehabt hätte. Ich hatte ihr homöopathische Mittel

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