Furchtbar lieb
furchterregende und sinnlose Schlacht.
Sie hatte die strikte Abfolge ausprobiert, über die unter den pränatalen Muttis Einhelligkeit herrschte: Essen, Anregung – aber nicht zu viel –, Bad, Bett. Es hatte nicht funktioniert. Sie hatte versucht, ihn tagsüber vom Schlafen abzuhalten. Kein Erfolg. Hatte versucht, neben ihm zu schlafen. (Es hatte funktioniert, aber sie hatte den Fehler gemacht, es Frasers Mutti zu erzählen, die geschrien hatte: »NEIN! Er wird sterben, wenn du damit weitermachst. Hast du nicht die Geschichte von dem Baby gehört, das erstickt ist?«) Also wandte sich Krissie einem Buch namens »Kontrolliertes Weinen« zu, ihrer jüngsten Erwerbung aus der Abteilung Kinderpflege. Das Buch sagte, sie solle ihn beruhigen, ihn schreien lassen und in immer größer werdenden Abständen während des Abends zu ihm gehen. »Nach einer Woche wird ihr Baby durchschlafen«, hatte das Buch versprochen.
Heute war der sechste Tag, und Krissie hatte den starken Verdacht, dass sie ihr Geld würde zurückfordern müssen. Sie hatte Robbie zwei Minuten lang allein gelassen und war zum Beruhigen zurückgekommen, dann vier Minuten, Rückkehr, acht Minuten, Rückkehr, sechzehn, Rückkehr, und hier war sie nun, trat zum fünften Mal wie ein Einbrecher den Rückzug aus dem verdunkelten Zimmer an und betete, dass Robbie nicht bemerken würde, wie seine Mutter erst an Größe abnahm und dann durch die Tür verschwand – diesmal für dreißig Minuten.
»Gehen Sie an einen weit entfernten Ort«, hatte das Buch geraten. »Und seien Sie stark!«
Bis jetzt hatte Krissie das nicht über sich gebracht, aber heute war der erste Tag ihres neuen Lebens als resolute, kompetente, liebende, Grenzen setzende Mutter, und entsprechend fest entschlossen war sie.
Als sie aus dem Schlafzimmer kam, hörte Krissie Musik aus dem unteren Stockwerk. Sie hatte die Jungs seit Monaten nicht spielen hören, und die Klänge sandten eine Woge derErregung durch ihren Körper. Ohne sich selbst Zeit zum Nachdenken zu geben, legte sie etwas Lipgloss auf, griff sich das Babyphon, stellte den Wecker an ihrer Armbanduhr auf dreißig Minuten und ging hinunter.
Als Marco die Tür öffnete, sagte sie: »Ich habe mein Tamburin nicht dabei, kannst du mir etwas von dir zum Rasseln geben?«
Marco antwortete genauso, wie sie es sich erhofft hatte. Er packte sie um die Hüften und küsste sie. Dann sah er auf das Babyphon, aus dem Robbies Stimme heulte.
»Keine Sorge, es geht ihm gut«, sagte sie.
Sie taumelten durch den Flur und in das Schlafzimmer, und Marco hob ihren Rock.
Der Schmerz überraschte sie. Er war scharf und stechend, und als Marco in sie eindrang, blitzte ein Schnappschuss aus Hebammen, Blut und großen, metallenen Salatbestecken vor ihr auf. Was war da unten passiert? Hatten die sie etwa enger als vorher zusammengenäht?
Robbies Weinen drang aus dem Babyphon und erfüllte das Zimmer, und sie sah über Marcos auf und ab wippende Schulter auf ihre Armbanduhr … Er schrie erst seit zehn Minuten. Sie schüttelte den Kopf und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Marco zu, der dreimal schnell zustieß, ehe er fertig war.
Danach gingen sie ins Wohnzimmer, wo der andere Typ auf seiner Mundharmonika spielte. Er grüßte Krissie nicht einmal.
»Sicher, dass mit ihm alles in Ordnung ist?«, fragte Marco und schnitt eine Grimasse in Richtung des schreienden Babyphons, als er ihr eine Rassel in die Hand drückte.
»Klar doch, mach dir keine Sorgen«, antwortete Krissie und drehte nach einem Blick auf die Uhr das Babyphon etwas leiser.
Ohne sie eines weiteren Wortes oder Blickes zu würdigen, nahm Marco seine Gitarre und fing zu spielen an.
Krissie fühlte sich erniedrigt. Was hatte sie getan? Was stimmte nicht mit ihr? Sie wusste nicht, was sie tun oder sagen oder wie sie sich benehmen sollte. Also saß sie einfach da und schüttelte ihre Rassel, zu der das Babyphon seine quälendeHarmonie brüllte. Die Sekunden stapften auf ihrer Uhr voran, aber sie würde nicht aufgeben, sie würde die ganze halbe Stunde abwarten. Sie würde eine gute Mutter sein.
***
Sarah traf um neun Uhr bei Krissie ein. Sie machte sich Sorgen, ob ihre Freundin zurechtkäme, und hatte sich entschlossen, bei ihr vorbeizuschauen.
Sie klopfte, aber außer Robbies Weinen kam keine Antwort. Sie wählte Krissies Handynummer und hörte es drinnen klingeln. Sie rief noch einmal an, diesmal auf dem Festnetz, aber es klingelte und klingelte nur. Sarah hämmerte gegen die Tür. Keine
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