Furor
konnte sein Vater keine willkürliche Tastenkombination zur Sicherung benutzt haben, sondern etwas, das sich Sebastian erschloss. Vielleicht zuerst alle Daten mit einer Bedeutung auflisten und nacheinander eingeben, Geburtstage, Hochzeitstag . . . Nein, das war zu simpel. Musik? Der Anfang des Liedes des Vogelfängers in Mozarts ›Zauberflöte‹ oder . . . nein, das war ein einziges Stochern im Nebel. Die schlichte Aufforderung seines Vaters, den Computer einzuschalten, unterstellte doch, dass er das Passwort kennen müsste.
Nur ein Narr benutzt diesen Computer. Nur ein Narr . . . Er begann, die Anfangsbuchstaben der Worte zu variieren. Nein, das ist alles Blödsinn, dachte Sebastian. Das entspricht nicht seinem Stil, er war kein Typ für Albernheiten. Die Marotte der Amerikaner, Abkürzungen zu Akronymen zusammenzustoppeln, hatte sein Vater immer lächerlich gefunden.
Denk nach, Sebastian, denk nach. Aber der einzige Hinweis, den er bis jetzt hatte, war die simple Aufforderung seines Vaters, den Computer einzuschalten, und dieser Satz mit dem Narren. Wer war damit gemeint? Und was bedeutete das Wort am Ende des Satzes, »Mellon«? Sein Vater musste annehmen, dass er es kannte.
Sebastian stand auf und nahm ein Fremdwörterbuch aus dem Regal. Dann ein lateinisches Wörterbuch. Nichts. Nicht einmal ähnliche Begriffe.
Er schaute aus dem Fenster. Durch den Dunst, der über der Stadt lag, konnte er die Türme der Liebfrauenkirche sehen, ein Stück weiter lag die Isar. In einigen Kilometern Entfernung ragte der Friedensengel in die Höhe, wie eine Galeonsfigur ohne Schiff. In Sebastian war alles wie taub.
Er öffnete das Fenster. Der Dreck des Stadtverkehrs warschon unterwegs in die Höhe, aber noch nicht auf dieser Etage angelangt. Eine frische Brise wehte herein, und trotzdem war da Schweiß auf seiner Stirn.
Er setzte sich wieder an den Schreibtisch und legte die Füße auf die Tischplatte. Ob seine Freunde schon gehört hatten, was passiert war? Er verspürte plötzlich das Bedürfnis, mit Mato zu reden. Er fand das Telefon unter einigen Zeitschriften und wählte die Nummer von Chen Mato.
Als der sich endlich meldete, war er offensichtlich bemüht, nicht in den Telefonhörer zu gähnen.
». . . lo?«
»Mato? Ich bin’s, Sebastian. Bist du ansprechbar?«
»Sebastian! Wie geht es dir? Mann, das tut mir echt Leid mit deinem Vater. Ich habe versucht, dich anzurufen, aber dein Handy war nicht an. Was ist denn eigentlich passiert?«
»Ehrlich gesagt habe ich das selbst noch nicht kapiert. Aber lass uns später darüber reden.«
»Ja, klar. Kann ich irgendwas für dich tun?«
»Kannst du. Ich habe eine etwas ungewöhnliche Frage. Wundere dich jetzt nicht, sondern denk einfach drüber nach, ja? Was fällt dir zu ›Narren‹ ein?«
Es blieb eine Weile ruhig.
»Seltsame Frage«, stellte Mato fest. »Willst du die lange oder kurze Version vom Lebenslauf eines gemeinsamen Bekannten hören? Entschuldige. Ist vielleicht gerade nicht der Moment für Witze.«
»Schon gut. Also, was fällt dir zum Thema Narren ein? Literatur, Bilder, Musik.«
»Hm, nicht viel. Fasching. Narrenhände beschmieren Tisch und Wände. Narren und Kinder sagen die Wahrheit. Ach ja. Es gibt da ein Buch. Das ›Narrenschiff‹ von Sebastian Brant.«
Sebastian hatte noch nie davon gehört.
»Ein Buch aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Ich glaube,dieser Brant war Schweizer. Vielleicht auch Österreicher oder Deutscher, jedenfalls ist das Buch deutschsprachig. Und ganz lustig. Ich habe es zu Hause bei meinen Eltern ab und zu in den Fingern gehabt. Die fressen ja alles, was deutsch ist und sich reimt. Dieser Brant hat alles, was ihm zu seiner Zeit nicht passte, in Gedichten kritisiert. Sachen wie neue Moden, das Schwätzen in der Kirche . . . das waren seine Themen. Ist wirklich lesenswert, einfach zum Spaß. ›Im Narrenschiff voran ich geh, weil ich viel Bücher um mich seh, die ich nicht lese und versteh.‹ Ist doch klasse, oder?«
Mato machte eine kurze Pause. »Mir fällt ehrlich gesagt im Augenblick nicht mehr dazu ein«, musste er schließlich zugeben. »Worum geht’s denn eigentlich?«
Sebastian überlegte, was er ihm sagen konnte. Konnte er Mato einweihen? Wäre das seinem Vater recht? Andererseits: Er war momentan wirklich auf Hilfe angewiesen. Also erzählte er Mato von seinem Computerproblem.
»Du schließt also einen simplen Tastencode aus«, fasste Mato zusammen, »und du hättest gern eine Schnitzeljagd. Na gut. Zu dieser
Weitere Kostenlose Bücher