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FutureMatic

FutureMatic

Titel: FutureMatic
Autoren: William Gibson
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wird: seine Armbanduhren unter Glasscherben, wie Fische in einem zertrümmerten Aquarium. Er klaubt eine Gruen »Curvex« an ihrem Krokoimitatarmband auf und stellt fest, dass sie nicht tickt. Er seufzt. Ciarisse liegt ihm seit einiger Zeit in den Ohren, dass er sich einen feuersicheren Safe anschaffen soll, in dem er seine wertvolleren Stücke über Nacht deponieren kann. Hätte er das getan, würden die Uhren noch ticken. Aber die hier tickt noch, der Doxa-Chronometer mit dem leicht korrodierten Zifferblatt, eins seiner Lieblingsst ücke, das die Kunden immer wieder übersehen. Er hält ihn ans Ohr und hört das Geräusch eines Mechanismus, der Jahre vor seiner Geburt zusammengebaut wurde.
    Doch was er nun sieht, wird Ciarisse noch unglücklicher machen: Ihre Another-One-Babys liegen auf einem wirren Haufen, wie auf einem Boulevardzeitungsfoto von einer namenlosen Gräueltat, und aus ihren kaputten Köpfen und Rümpfen sickert Silikon (was entweder eine Flüssigkeit ist, die sich wie eine feste Masse verhält, oder umgekehrt, Fontaine kann sich nie merken, welches von beidem). Keine einzige ist heil geblieben, und als er 311
    sich bückt, um sie genauer zu betrachten, hört er, wie eine von ihnen unablässig eine einzige Silbe wiederholt, aber er kann nicht erkennen, ob sie Japanisch oder Englisch spricht. Das übt für einen kurzen Moment eine tiefe Faszination auf ihn aus, und er erinnert sich an ein ähnliches Gefühl in seiner Kindheit, als er durch eine Polizeiabsperrung den Schutthaufen eines Kinos in Harlem gesehen hat; das in dem Gebäude wütende Feuer hatte kurz vor dem Süßwarentresen Halt gemacht, aber alles in diesem Tresen war geschmolzen, war herausgeflossen und zu einem ge-frorenen Strom aus raffiniertem Zucker erstarrt, der jedoch trotz des sauren Gestanks feuchter Asche viel besser gerochen hatte als dieses Silikon.
    Er hört, wie Chevette und Rydell miteinander reden; sie strei-ten sich offenbar, und er wünscht, sie würden damit aufhören.
    Er ist im Auge, und er möchte es einfach wissen.
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KLEINE BLAUE ABWESENHEIT
    ie Großaufnahme der Handkamera zeigt Laney eine kleine Dbl aue Abwesenheit gleich neben dem Augenwinkel des Toten, wie ein radikales Mascara-Experiment. Ein Kugelloch, eine Eintrittswunde von allerkleinstem Umfang.
    »Ihnen wird aufgefallen sein, dass keine Pulverimprägnationen vorhanden sind«, sagt derjenige, der die Kamera hält. »Er wurde aus einiger Entfernung erschossen.«
    »Warum zeigen Sie mir das?« Wieder Harwoods körperlose Stimme.
    Die Kamera fährt zurück, und man sieht den blonden Toten in der schwarzen Lederjacke, der an einer mit Emaillespray-Krin-geln überzogenen senkrechten Fläche lehnt. Er wirkt überrascht und schielt ein wenig. Die Kamera fährt noch weiter zurück und gibt den Blick auf eine zweite Leiche in einer schwarzen, kugel-sicheren Weste frei, die mit dem Gesicht nach unten auf dem ab-genutzten Straßenbelag liegt.
    »Ein Schuss pro Person. Wir haben nicht damit gerechnet, dass er eine Schusswaffe hat.«
    »Die Brücke ist nicht gerade dafür bekannt, dass sie die gesetz-lichen Regelungen für Schusswaffen sklavisch befolgt, wissen Sie.«
    Der Mann dreht die Kamera um, und sein Gesicht erscheint in einem seltsamen Winkel, von der Taille aus aufgenommen. »Ich wollte Ihnen nur sagen: >Ich hab’s Ihnen ja gesagt<.«
    »Wenn er lebendig aus diesem Gebiet herauskommt, wird Ihre Firma nicht nur Vertragsprobleme kriegen. Sie haben unterschrieben, dass Sie sich um alles kümmern, wissen Sie noch?«
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    »Und Sie haben sich bereit erklärt, sich unsere Vorschläge anzuhören.«
    »Die habe ich mir angehört.«
    »Ich bin mit einem Fünf-Mann-Team gekommen. Jetzt sind zwei davon tot, der Funkkontakt mit den anderen dreien ist abgebrochen, und ich habe gerade etwas gehört, was wie eine Explosion klang. Das Milieu hier ist von Natur aus instabil: ein bewaffneter Ameisenhaufen. Bei den Leuten brennen sehr schnell die Sicherungen durch, und sie haben keine koordinierende Autorität. Wir könnten einen Aufruhr auslösen, und wenn das passiert, haben wir nicht mehr die geringste Chance, Ihren Mann zu erledigen oder Rydell zu fangen.«
    »Rydell wieder einzufangen, sollten Sie sagen.«
    »Ich habe einen letzten Vorschlag.« Der Mann hebt die Kamera ein kleines Stück, so dass sein Gesicht den Bildschirm füllt. Der schwarze Schal löscht das untere Drittel des Bildes aus.
    »Ja?«
    »Anzünden.«
    »Was anzünden?«
    »Die Brücke. Sie wird wie
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