Fynia - wo die Schafe sterben gehen (Fantasy-Roman) (German Edition)
Trainingsstunde.
Wir warteten in der Kapelle. Außer uns drei waren noch ein paar andere Kinder und Jugendliche da. Viele von ihnen kannte ich, einige nur flüchtig und andere überhaupt nicht. Marc schien viele zu kennen, denn er lächelte ihnen zu, winkte hier und da und begrüßte zwei etwa gleichaltrige Jungen mit einem lässigen Handschlag.
Ich wusste gar nicht, dass mein Bruder außerhalb der Schule Freunde hatte. Er sprach nie über sie, sprach generell nicht über das, was er in seiner Freizeit tat.
„Wieso hat Marc nie von denen“ ich deutete mit meinem Kopf auf unseren Bruder, der sich gerade herzhaft über einen Scherz seines Kumpels amüsierte, „erzählt?“
„Hm… Bestimmt wegen dem, was dieser Harry gesagt hat. Wir wussten ja noch gar nichts davon und man darf nur mit Eingeweihten sprechen.“, mutmaßte Luna, was mir logisch vorkam.
„Auch, wenn wir seine Familie sind?“, harkte ich trotzdem noch Mal nach.
„Er hat sich schon ziemlich eindeutig angehört, oder?“ Luna flüsterte, als hätte sie Angst, dass sie jemand erwischen könnte. Ich flüsterte auch, denn genau wie sie sagte hatten sich Harrys Worte tief in mir eingebrannt.
Plötzlich wurde es Still in der Kapelle. Es würde eine Rede von Rhuni geben, das hatten wir Montag schon erlebt, als wir den Geschichtsunterricht besucht hatten. Die Neuen wurden vorgestellt.
Ich sah mich um. Im Geschichtsunterricht waren viel mehr aus dem Dorf gewesen.
„Meine lieben Kinder, willkommen!“ Rhuni hatte ihr braunes, einfaches Gewand gegen ein schlichtes weißes eingetauscht. Sie war leise wie ein Windhauch durch Tür am Ende der Kapelle gekommen. Alle Augen waren auf sie gerichtet. Ich hingegen sah mich um und konnte viele verschiedene Ausdrücke erkennen. Einige sahen sie mit Neugierde an, vor allem die jüngeren Kinder, so in meinem Alter. Die Jugendlichen schienen eher gelangweilt, aber einige wenige sahen voller Ehrfurcht zu ihr auf. Rhuni hatte sich auf den Sockel der Göttinnenstatue gestellt, um einen besseren Überblick zu haben. Ich fand, sie wirkte locker.
„Für einige ist es heute wieder so weit. Sie haben ihre Gabe entdeckt und sind ab heute ganz offiziell Initianten. Ich denke, wir handhaben es wie immer: die alten Hasen unter euch wissen schon wie es läuft. Ihr geht zu eurem Lehrer und beginnt mit dem Training und ich weise die jungen Hüpfer ein.“ Sie lächelte strahlend und machte eine umarmende Geste. Sogleich setzte sich die Mehrzahl der Anwesenden in Bewegung und verließen die Kapelle durch die Eingangstür. Nur ungefähr fünfzehn Kinder inklusive Luna und mir blieben übrig. Ich schaute meinem großen Bruder sehnsüchtig hinterher, denn ich wollte nicht ganz ohne einen vertrauten Ansprechpartner bleiben. Verstohlen blickte ich zu meiner Zwillingsschwester. Ich wusste, wenn ich ihr das so sagen würde, würde sie mich verstehen.
Wir Kinder versammelten uns um Rhuni herum, die sich nun auf dem Sockel niedergelassen hatte und uns erwartungsvoll anschaute.
„Es gibt ein paar Dinge, die ich euch erklären muss, bevor ihr mit dem Training beginnen könnt.
Zuerst müsst ihr wissen, dass nicht jeder die gleiche Gabe hat. Die Gaben sind an die Familie gebunden. Das kann man ganz schön an Fynia und Luna sehen.“ Alle Blicke wandten sich in unsere Richtung, „Sie kommen aus der Familie der Geisterwölfe. Ihre Mutter ist einer und ihr Bruder ist auch einer, also sind sie auch Geisterwölfe. Russel hingegen kommt aus einer Bändigerfamilie.“ Nun wanderten unsere Augen auf einen kleinen farbigen Jungen, der vielleicht gerade mal acht Jahre alt war. Er wirkte verunsichert.
„Bändiger können bestimmte Dinge beeinflussen, zum Beispiel die Elemente.“, erklärte Rhuni liebevoll, „und bei Russel haben wir gleich noch ein Problem, aber das ist nicht schlimm.“, fügte sie hinzu, als Russel Augen ganz groß wurden und sich mit Tränen zu füllen begannen. Liebevoll legte Rhuni ihm eine Hand auf die Schulter, so wie sie es bei mir auch getan hatte.
„Russels Vater kommt nicht aus dem Clan. Wer kann mir sagen, was das bedeutet?“ Rhuni sah sich suchend um. Ich wusste, worauf sie hinaus wollte oder konnte es zumindest erahnen. Das Mädchen, das vor Luna und mir saß, hob selbstsicher ihre Hand.
„Amanda?“
„Das bedeutet, dass er seinem Vater niemals das Geheimnis verraten darf.“ Ihre Stimme klang hart und ließ keine Widerworte zu. Amanda war schon zwölf, das wusste ich. Sie ging auf die
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