Gabe der Jungfrau
dem Markt
würde er seine Predigt halten, hörte Hofmeister aus den Gesprächsfetzen vorbeieilender Menschen und folgte ihnen.
Unter einem Torbogen presste er sich dicht an das Gemäuer – von hier würde er Luther sehen und hören können.
Nicht nur Hofmeister war von den Lehren des Mönchs angetan. Die Menschenmenge brach in begeisterten Beifall aus, als Luther über den Missbrauch der Kirche sprach und das Verkaufen von ablassbriefen mit dröhnender Stimme verurteilte. Leidenschaftlich versprach er der Menge, dass er die Kirche umgestalten wolle. als er ausrief, dass der Papst die Heilige Schrift zwar deuten, sich aber nicht darüberstellen dürfe, hingen die Menschen an seinen Lippen, als verspreche er ihnen das Paradies.
Mit den Worten: »Es hat für mich den anschein, als ob das Böse mehr gehasst als das Gute geliebt wird«, beendete Luther seine Predigt und machte sich durch die engen Gassen auf den Weg zum Reichstag. Er kam an dem verkleideten Hofmeister vorbei und für einen kurzen augenblick kreuzten sich ihre Blicke. Hofmeister glaubte Unbehagen in Luthers Gesichtszügen zu erkennen.
›Dieser Mensch soll die Kirche verändern?‹, fragte er sich zweifelnd und folgte dem Mann in der dunklen Mönchskutte.
Die Menschen versuchten Martin Luther anzufassen oder wollten ihm aufmunternd und wohlwollend auf die Schulter klopfen. Wie in Verzückung riefen sie laut seinen Namen, »Luther! Luther!«, um dann »Martin!« zu brüllen, als Zeichen, dass sie sich ihm verbunden fühlten. Vor dem Reichstag wurde die Menschenmenge von Wachmännern zurückgedrängt, denn nur adelige und Kirchenträger durften das Tor passieren. Hofmeister glaubte von weitem seinen Lehnsherrn Franz von Sickingen und dessen Freund Ulrich von Hutten zu erkennen. Beide folgten Luther die Stufen hinauf und durchschritten hinter ihm das Eingangsportal.
Kurz darauf schien das Gebäude überfüllt zu sein, denn vor dem Portal versammelten sich mehr und mehr wohlhabende Bürger, denen der Eintritt verwehrt blieb. alle wollten dabei sein, wenn Martin Luther seine ansichten widerrufen würde.
Erschöpft von der krummen Haltung und dem ungewohnten Gang, lehnte sich Daniel Hofmeister gegen ein Mäuerchen und streckte seine Glieder. Unter seiner Binde juckte die Haut, und er hätte sich diese ebenso wie die Wollmütze gerne vom Kopf gerissen. Doch geduldig ertrug er das Jucken und das Warten, denn der Kaiser hatte Luthers Verhandlung als letzten Punkt auf die Tagungsordnung setzen lassen.
Es war bereits Nachmittag, als die Menschen vor dem Eingangsportal des Reichstags unruhig wurden und laut durcheinandersprachen. Rasch wurde bekannt, dass Luther die Geistlichen und den Kaiser aufgefordert habe, ihm seine Verfehlungen auf Grundlage der Bibel nachzuweisen. Das jedoch hätte die Kirche wie der Kaiser abgelehnt und stattdessen die Verhandlung auf den nächsten Tag verlegt.
Hofmeister seufzte. ›Das heißt, dass ich noch einen weiteren Tag in dieser Kluft verbringen muss‹, dachte er bei sich.
Früh am nächsten Morgen stand Daniel Hofmeister wieder an derselben Stelle und wartete auf Luthers antwort.
Durch das Volk ging ein freudiger aufschrei, als bekannt wurde, dass der Mönch seine Thesen nicht widerrufen hatte.
Hofmeister wusste, was das bedeutete. Die Reichsacht würde über Luther verhängt werden, und ein jeder konnte ihn gefangen nehmen und an Rom ausliefern. Wer ihm Unterschlupf gewährte, würde sich strafbar machen.
All dies schien dem Volk einerlei zu sein. Für die Menschen zählte nur, dass sich der Mönch gegen den Klerus und den adel aufgebäumt hatte und auf der Seite des Volkes stand.
›Ein Mann, der es wagte sich gegen bestehende Regeln zu wehren, kann nur die Wahrheit sprechen‹, überlegte Hofmeister und schwor sich, dass er von nun an Martin Luther vertrauen und folgen würde. Von diesem Gedanken bestärkt ging er von dannen.
Kapitel 7
Seit mehr als zwei Wochen folgte anna Maria nun schon dem Weg in Richtung Norden. Sie fragte jeden, der ihr begegnete, nach ihren Brüdern. Doch niemand hatte die beiden gesehen oder konnte sich an sie erinnern.
Die angst, Peter und Matthias nicht rechtzeitig zu finden, trieb anna Maria stetig voran, und sie gönnte sich kaum Ruhe. Bislang war sie aber nur an einem der Gasthäuser vorbeigekommen, die der Vater ihr genannt hatte, und so beschlich sie allmählich das ungute Gefühl, dem falschen Weg zu folgen.
Doch der blaue Himmel, der einen sonnigen Herbsttag versprach,
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