Gabriel Labert
Menschen schon gesehen haben mußte – was dadurch, daß er meine Blicke so beharrlich vermied, bestätigt wurde –, war es mir unmöglich, mich zu erinnern, wo und wie ich ihn gesehen.
Ich näherte mich dem Aufseher und fragte ihn nach dem Namen desjenigen meiner Gäste, der meinem Mahl so wenig Ehre erwies.
Er hieß Gabriel Lambert.
Dieser Name unterstützte mein Gedächtnis durchaus nicht; ich hörte ihn zum erstenmal. Ich glaubte, ich hätte mich getäuscht, und da Jadin auf der Schwelle unserer Villa erschien, ging ich ihm entgegen.
Jadin brachte unsere zwei Flinten; wir hatten an diesem Tag nichts anderes vor, als Seevögel zu schießen.
Ich sprach ein paar Worte mit Jadin und empfahl ihm, den Mann, welcher der Gegenstand meiner Neugier war, aufmerksam zu betrachten. Doch Jadin erinnerte sich nicht, ihn gesehen zu haben, und der Name Gabriel Lambert war ihm wie mir völlig fremd.
Mittlerweile hatten unsere Galeerensklaven ihr Mahl beendet; sie standen auf, um wieder ihren Posten in der Barke einzunehmen; wir näherten uns dem Boot ebenfalls. Und da wir, um es zu erreichen, von Fels zu Fels springen mußten, machte der Aufseher diesen Unglücklichen ein Zeichen, und sie traten sofort bis an die Knie ins Wasser, um uns zu helfen.
Dabei bemerkte ich etwas Eigenartiges: Denn anstatt uns die Hand als Stütze zu reichen, wie es Matrosen zu tun pflegen, boten sie uns den Ellenbogen.
War dies die Folge eines vorher gegebenen Befehles? Geschah dies in der demütigen Überzeugung, ihre Hand wäre unwürdig, die Hand eines ehrlichen Menschen zu berühren?
Gabriel Lambert war schon mit seinen Gefährten in der Barke und hatte zum Riemen gegriff en.
2. Kapitel
Henri de Faverne
Wir fuhren ab; doch wie groß auch die Zahl der Möwen war, die uns umflatterten, meine Aufmerksamkeit blieb einem einzigen Ziel zugewandt. Je mehr ich diesen Menschen anschaute, desto mehr kam es mir vor, als wäre er mir vor nicht allzulanger Zeit auf irgendeine Weise begegnet. Wo das? Wie das? – Dessen konnte ich mich
nicht erinnern.
Zwei bis drei Stunden vergingen bei diesem hartnäckigen Nachsuchen in meinem Gedächtnis, doch ich führte kein Resultat herbei.
Der Galeerensklave schien so sehr darauf bedacht, meinen Blick zu meiden, daß der Erfolg, den dieser Blick offenbar bei ihm hervorbrachte, mir peinlich zu werden begann; deshalb bemühte ich mich schließlich, an etwas anderes zu denken.
Doch man weiß, wie bohrend das ist, wenn man sich an etwas Bestimmtes erinnern will, ohne daß es gelingt. Unwillkürlich kam ich immer wieder darauf zurück.
In der Überzeugung, daß ich mich nicht täuschte, bestärkte mich noch der Umstand, daß, sooft ich die Augen von ihm abgewandt hatte, er jedesmal zu mir herüberblickte, was ich an seiner schnellen Bewegung feststellen konnte, mit der er den Kopf wegdrehte, sah ich wieder zu ihm.
So verging der Tag: Wir landeten einige Male. Ich war in jener Zeit damit beschäftigt, die Lebensereignisse von Murat zusammenzustellen und zu ordnen, und ein Teil dieser Ereignisse war an den Orten vorgefallen, wo wir uns befanden; bald bat ich Jadin, eine Zeichnung für mich zu entwerfen, bald wollte ich eine einfache Untersuchung der Örtlichkeit vornehmen.
Jedesmal näherte ich mich dem Aufseher, um ihn zu befragen, doch jedesmal begegnete ich dem Blick Gabriel Lamberts, der mir so demütig, so flehend vorkam, daß ich die Erläuterung, die ich verlangen wollte, auf später verschob.
Um fünf Uhr nachmittags kehrten wir zurück.
Da der Rest des Tages dem Mittagessen und der Arbeit gewidmet sein sollte, entließ ich meinen Aufseher und seine Truppe und bestellte ihn für den nächsten Morgen um acht Uhr.
Unwillkürlich konnte ich an nichts anderes denken als an diesen Menschen. Es ist uns allen zuweilen vorgekommen, daß wir in unserer Erinnerung einen Namen suchen, den wir nicht wiederfinden, und dennoch haben wir diesen Namen einst ganz genau gewußt. Dieser Name flieht gleichsam das Gedächtnis, wir haben den Klang im Ohr, die Form im Geist; ein flüchtiger Schimmer erleuchtet ihn, er will mit einem Ausruf aus unserem Mund hervor, plötzlich aber entweicht dieser Name abermals, versenkt sich wieder tiefer ins Dunkel und verschwindet ganz und gar, so daß man sich am Ende fragt, ob man ihn nicht im Traum gehört habe. Und schließlich kommt es einem vor, als müsse sich der Geist, werde er seine Forschung weiter fortsetzen, in der Finsternis verlieren und an die Grenzen des Wahnsinns gelangen.
So
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