Gabriel Lambert
ist, daß es kein gutes Ende mit ihm nehmen wird – und ich glaube mich nicht zu täuschen.«
»Ach, meine Tochter, meine Tochter!« sprach die arme Mutter, indem sie sich vor dem Lehnstuhl, in dem ihr Kind schlief, auf die Knie warf und es mit beiden Armen bedeckte, als wollte sie es gegen die Zukunft, die seiner harrte, beschützen.
Es war inzwischen zu spät für sie geworden, noch in die Rue des Vieux-Augustins zurückzukehren.
Ich rief meine Helferin und übergab ihr die Mutter und das Kind.
Dann schickte ich einen meiner Dienstboten zur Besitzerin des Hotels de Venise und ließ ihr sagen, Mademoiselle Marie Granger sei bei dem Doktor Fabien, wo sie zu Mittag gespeist habe; es sei ihr unwohl geworden, und sie könne erst morgen zurückkehren.
. Kapitel
Die Katastrophe
Früh um sieben Uhr trat mein Kammerdiener bei mir ein. »Mein Herr«, sagte er, »ein Bedienter des Herrn Vicomte Henri de Faverne ist da und wartet schon seit einer halben Stunde; doch da der Herr Doktor erst um drei Uhr zu Bett gegangen ist, wollte ich ihn nicht wecken. Ich hätte sogar noch gezögert, wäre nicht ein zweiter gekommen, der noch mehr auf Eile drang als der erste.«
»Was verlangen diese zwei Bedienten denn?«
»Sie kommen, um zu melden, ihr Herr erwarte den Doktor. Es scheint, der Vicomte ist sehr leidend, und er hat sich in dieser Nacht auch nicht zu Bett gelegt.«
»Antworten Sie, ich werde sogleich kommen.«
Ich kleidete mich in aller Eile an und lief zu dem Vicomte.
Er war wirklich, wie die Bedienten sagten, nicht schlafen gegangen, er hatte sich nur, ohne sich auszukleiden, ein Weilchen auf das Bett gelegt.
Ich fand ihn mit Beinkleidern und Stiefeln in einen weiten Schlafrock von Damast gewickelt. Rock und Weste hingen über einem Stuhl, und alles im Zimmer off enbarte die Unordnung einer beweg-ten, schlafl osen Nacht.
»Sie sind es, Doktor?« rief er. »Man lasse niemand herein!«
Und mit einem Zeichen der Hand entließ er den Bedienten, der mich hereingeführt hatte.
»Verzeihen Sie, daß ich nicht früher gekommen bin«, sagte ich.
»Mein Bedienter wollte mich nicht wecken, weil ich mich erst um drei Uhr morgens niedergelegt hatte.«
»Ich muß Sie um Entschuldigung bitten, ich langweile Sie, Doktor, ich ermüde Sie, und das ist mir um so schrecklicher, als ich nicht weiß, wie ich Sie für Ihre Bemühungen entschädigen soll; doch Sie sehen, ich leide wirklich, nicht wahr? Und Sie haben Mitleid mit mir.«
Ich schaute ihn an.
Es ließ sich wohl kaum ein verstörteres Gesicht fi nden als das seine, und ich bekam wahrhaft Mitleid.
»Ja, Sie leiden; ich begreife, daß das Leben für Sie eine Marter ist.«
»Nämlich, sehen Sie, Doktor, es gibt keine von jenen Waff en, Dolch oder Pistole, die ich nicht zweimal an mein Herz oder an meine Stirn gesetzt habe!«
Er dämpfte seine Stimme und sagte hohnlachend: »Ich bin ein Feigling; ich habe Furcht vor dem Sterben. Glauben Sie das? Sie, Doktor, der Sie gesehen, wie ich mich geschlagen habe? Glauben Sie, daß ich vor dem Sterben zittere?«
»Von Anfang an glaubte ich zu wissen, daß Sie diese Art von Mut nicht besitzen, mein Herr.«
»Wie, Doktor, Sie wagen es, mir das ins Gesicht zu sagen?«
»Ja, ich sage, Sie haben nur den Mut, der mit dem Blut in den Kopf steigt, den Mut, im Aff ekt zu handeln.«
Er stieß einen Seufzer aus, sank in einen Lehnstuhl und schwieg.
»Aber«, sagte ich nach einem Augenblick, »Sie haben mich doch nicht zu sich gebeten, um mit mir über die verschiedenen Arten von Mut zu sprechen, nicht wahr, sondern um von ihr zu reden?«
»Ja, ja, Sie haben recht, um von ihr zu reden. Nicht wahr, Sie haben sie gesehen?«
»Ja.«
»Nun, was sagen Sie zu ihr?«
»Ich sage, daß es ein edles Herz, ein frommes Mädchen ist.«
»Ja, doch mittlerweile wird sie mich ins Verderben stürzen, denn, nicht wahr, sie wollte nichts hören, sie schlägt jede Entschädigung aus, sie will, daß ich sie heirate, oder sie wird es in allen Straßen ausschreien, wer ich bin, und vielleicht auch, was ich bin?«
»Ich kann Ihnen nicht verbergen, daß sie in dieser Absicht nach Paris gekommen ist.«
»Sollte sie anderen Sinnes geworden sein, Doktor? Sollte es Ihnen gelungen sein, sie zu bewegen, ihre Ansichten zu ändern?«
»Ich habe ihr gesagt, was ich denke: daß es besser wäre, Marie Granger als Frau de Faverne zu sein.«
»Wie soll ich das verstehen, Doktor, wollen Sie etwa sagen …?«
»Ich will sagen, Herr Lambert«, erwiderte ich
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