Gabriel Lambert
spottete.
Ich bemühte mich um den größten Ernst.
›Wie, nach meiner Gesundheit?‹ erwiderte er.
Das war, wie Sie sehen, schon etwas. Ich hatte ihm die Zähne aufgebrochen.
›Ja, nach Ihrer Gesundheit‹, versetzte ich. ›Sie schienen eine schlimme Nacht gehabt zu haben.‹
Er seufzte.
›Ja, schlimm‹, sagte er. ›Doch so sind alle meine Nächte.‹
›Teufel!‹ rief ich.
Ohne Zweifel täuschte er sich im Sinn meines Ausrufs, denn nach kurzem Stillschweigen fuhr er fort: ›Seien Sie übrigens unbesorgt; wenn ich nicht schlafe, werde ich wenigstens ruhig sein und versuchen, Sie nicht aufzuwecken.‹
›Geben Sie sich meinetwegen nicht soviel Mühe, Herr Lambert‹, erwiderte ich, ›ich fühle mich so geehrt, Ihr Kettenkamerad zu sein, daß ich gern einige Unbequemlichkeiten ertragen würde.‹
Gabriel schaute mich mit neuem Erstaunen an.
So hatte sich Accacia nicht benommen, um ihn zum Sprechen zu bringen, er hatte ihn geschlagen, bis er gesprochen hatte; doch obgleich er ein Resultat erreicht hatte, so war doch dieses Resultat nie befriedigend gewesen, und es hatte immer ein gespanntes Verhältnis zwischen beiden geherrscht.
›Warum sprechen Sie so mit mir, mein Freund?‹ fragte mich Gabriel Lambert.
›Weil ich weiß, mit wem ich spreche, mein Herr, und weil ich kein Bauernlümmel bin, das dürfen Sie mir glauben.‹
Gabriel schaute mich mit einer mißtrauischen Miene an, aber ich lächelte mit solcher Freundlichkeit, daß ein Teil seines Argwohns zu verschwinden schien.
Es kam die Frühstücksstunde. Man brachte uns wie gewöhnlich unseren Napf, doch statt sogleich meinen Löff el in die Suppe zu tauchen, wartete ich achtungsvoll, bis er zu Ende gegessen hatte, um anzufangen. Diese Aufmerksamkeit rührte ihn so sehr, daß er mir nicht nur den größten Teil, sondern auch die besseren Stücke überließ.
Ich sah, daß man in dieser Welt durch Höfl ichkeit gewinnen kann.
Kurz, nach acht Tagen waren wir, abgesehen von einer gewissen stolzen Miene, die er nicht ablegte, die besten Freunde.
Leider hatte ich dadurch, daß ich meinen Gefährten zum Reden brachte, nicht viel gewonnen: Seine Gespräche waren äußerst schwermütig, und ich bedurfte wahrhaftig der ganzen natürlichen Heiterkeit meines Geistes, daß ich mich nicht selbst in einer solchen Schule verdarb.
So brachte ich zwei Jahre hin, während deren er immer düsterer wurde. Von Zeit zu Zeit bemerkte ich, daß er mir ein Geständnis machen wollte.
Ich schaute ihn dann, um ihn zu ermutigen, mit der treuherzigsten Miene an, die mir zu Gebot stand; aber sein halbgeöff neter Mund schloß sich wieder, und ich sah, daß die Sache auf einen anderen Tag verschoben war.
Ich sann nach, was für ein Geständnis es sein könnte – und das war immer eine Beschäftigung, die mich ein wenig zerstreute –, als wir eines Tages neben einem Wagen hergingen, der mit alten Kanonen beladen war, die man zum Umgießen wegbrachte; dieser Wagen mochte wohl zehntausend Pfund schwer sein, und ich bemerkte, wie er sich ihm näherte und ihn auf eine Weise anschaute, die sagen wollte: ›Hätte ich keine Angst vor dem Tod, würde ich meinen Kopf darunterlegen, und alles wäre abgetan.‹
Von diesem Augenblick an war ich mir im klaren. Selbstmord kommt im Bagno sehr häufi g vor.
Als wir eines Tages am Hafen arbeiteten und ich ihn mich auf seine gewöhnliche Weise anschauen sah, beschloß ich, seinen Bedenk-lichkeiten ein Ende zu machen. Ich muß Ihnen sagen, daß dergleichen nach und nach höchst peinlich war und daß es mir allmählich über die Ohren ging, so daß ich ihn ums Leben gern auf die eine oder andere Weise losgeworden wäre.
›Nun‹, sagte ich, ›lassen Sie hören, was haben Sie, daß Sie mich so anschauen?‹
›Ich? Nichts!‹ erwiderte er.
›Doch, doch!‹
›Du täuschst dich.‹
›Ich täusche mich so wenig, daß ich Ihnen, wenn Sie wollen, sagen werde, was Sie haben.‹
›Du?‹
›Ja.‹
›Sprich!‹
›Sie möchten sich gern aus der Welt schaff en und haben nur Angst davor, sich Schmerzen zu bereiten.‹
Er wurde weiß wie ein Leinentuch.
›Wer hat dir das gesagt?‹
›Ich habe es erraten.‹
›Nun ja, Rossignol, du hast recht, es ist die Wahrheit; ich möchte mich gern töten, aber ich habe Angst davor.‹
›Es ist also richtig. Das Bagno langweilt Sie?‹
›Ich habe es hundertmal beklagt, daß ich nicht guillotiniert worden bin.‹
›Jeder hat seinen Geschmack. Doch ich gestehe, obgleich die Tage,
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