Gabriel Lambert
Polizeibehörden gestoßen, die unter dem Titel »Erinnerungen aus den Polizeiarchiven von Paris« im Druck erschienen waren. In diesen Berichten des Jaques Peuchet fand Dumas den Fall des Schuhmachers Picaud, der ihn zu dem Roman über den Grafen von Monte Christo inspirierte, und hier war das Schicksal einer Reihe von jungen Leuten nachzulesen, die versucht hatten, durch Intrigen, Betrug und Verbrechen ebenso zu Reichtum zu gelangen wie die Kaufl eute, Fabrikbesitzer und Spekulanten, die gewissenlos, aber mit Hilfe und Billigung des von Napoleon eingeführten, nur nach dem Kriterium des Besitzes recht-sprechenden »Code civil« – des alle feudalen Rechtsvorstellungen aufhebenden neuen Zivilgesetzbuches – ihre Gegner niederkonkur-riert, in ihrer gesellschaftlichen Stellung und häufi g auch physisch vernichtet hatten. Nachdem der Diff erenzierungsprozeß zwischen der Finanz oligarchie einerseits und mit mittleren und Kleinbürger-tum andererseits seinen Höhepunkt erreicht hatte, versuchten die Vertreter der Großbourgeoisie mit allen Mitteln zu verhindern, daß sich der Kreis der Privilegierten vergrößerte. Die »leichteste« Art, reich zu werden und damit in die »oberen« Gesellschaftsschichten einzudringen, nämlich die Banknotenfälschung, wurde mit dem Tode bestraft.
Der Bauernjunge, von dem uns Marie rückblickend berichtet, ist zunächst unser Autor selbst. Keineswegs in autobiographischer Absicht geschrieben, vermittelt uns diese Erzählung doch eine Reihe von Erfahrungen, die Dumas als junger Mensch im Umgang mit seinen Zeitgenossen gemacht hat. Die schöne Handschrift ist beiden eigen; von Dumas wird berichtet, daß er einen sehr mittelmä-
ßigen Schulmeister für Mathematik hatte, der ihm dafür aber seine großartigen Schreibkünste beibrachte. Beide, der junge Alexandre und der junge Gabriel, glauben dieses Talent nur in der Hauptstadt Paris gebührend auswerten zu können. Doch während Gabriel zum Verbrecher wird, erhält unser Autor im Jahre auf Empfehlung eines Freundes seines verstorbenen Vaters, des Generals Foy, eine Anstellung als Schreibgehilfe im Sekretariat des Herzogs von Orléans.
Hier in Paris unterhält Dumas bald Beziehungen zu den verschie-densten Vertretern des kulturellen Lebens; die Comédie Française wird auf ihn aufmerksam und inszeniert seine Werke: historische Stücke wie die Geschichte um das Leben der Königin Christina von Schweden oder das Prosadrama »Heinrich III. und sein Hof«. Diese romantischen Stücke machen ihn mit einem Schlage bekannt. Sie leiten eine literarische Produktion ein, die wegen ihres gewaltigen Umfangs von Kritikern oft als »Fließbandarbeit« bezeichnet wurde.
So entstehen in den vierziger Jahren im Durchschnitt zwei bis drei Th
eaterstücke und drei bis vier Romane jährlich, dazu kommen Chroniken, umfangreiche Reiseberichte, literarische und historische Studien.
Tatsächlich hat es Alexandre Dumas wie kaum ein anderer seiner Zeit verstanden, die technischen Möglichkeiten unter den Bedingungen der von Napoleon eingeleiteten industriellen Revolution für die Produktion von Literatur auszunützen: Seine Romane waren in kürzester Zeit ausgedruckt, erschienen serienweise und in hoher Aufl age. Daß das Geschäftsprinzip und das Streben nach schnellem, maximalem Gewinn an erster Stelle stand, hatte Konsequenzen für die Qualität. Dumas »schrieb sich reich«, baute sich ein luxu-riöses Schloß, das er nach seinem Helden »Monte Christo« nannte, und träumte von einem Th
eater, das nur seine Stücke spielte.
So leicht, wie er das Geld verdiente, fl oß es ihm wieder aus den Händen. Ihm blieb der zweifelhafte Ruhm eines Schriftstellers, dessen Werke man zwar gern las (neben dem »Monte Christo« die
»Drei Musketiere«, »Zwanzig Jahre später«, »Die Königin Margot«
und viele andere), der aber im Vergleich mit seinen literarischen Zeitgenossen Chateaubriand, Victor Hugo, Charles Nodier, Honoré de Balzac, Alfred de Musset, Prosper Mérimée und vielen anderen immer nur naserümpfend, mit Distanz und manchmal gar mit etwas Verachtung genannt wurde.
In den letzten Jahren haben sich auch die marxistischen Litera-turwissenschaftler in Frankreich um die Aufwertung und um eine echte Einordnung Alexandre Dumas’ in die Geschichte und Lite-raturgeschichte seiner Zeit bemüht. Die bekannte kulturpolitische Monatsschrift »Europe« veröff entlichte im Jahre , zum hun-dertsten Todestage des Schriftstellers, ein
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