Gabriel oder das Versprechen
Sie setzte ihr
Gedankenspiel nicht fort und betrachtete sein weibliches Gegenüber.
Vera kannte die junge 31-jährige, selbstständige Friseurin von
einer der zurückliegenden Veranstaltungen. Mit ihrer mit rötlichen
Strähnchen durchwirkten Kurzhaarfrisur, ihrer schmalen Taille und
ihrer beachtlichen Oberweite war sie für die Männerwelt ein echter
Blickfang, aber auch ihr im Bewusstsein geblieben. Sie erinnerte
sich noch genau, dass sie nur auf einer Karte ein ›Ja‹ angekreuzt
hatte, und zwar bei einem sehr attraktiven Endzwanziger, der damals
nur von einer einzigen Teilnehmerin ein ›Nein‹ erhalten hatte. Da
war sie wohl wegen der großen Nachfrage bei dem begehrten Exemplar
durchs Raster gefallen, dachte Vera und widmete ihre ganze
Aufmerksamkeit dem Gespräch.
*
»Sind Sie zum ersten Mal hier?«
fragte Volker Fender, der sich - wie auch Sandra - den Regeln
entsprechend nur mit seinem Vornamen vorgestellt hatte.
»Nein, vor ungefähr zwei Monaten war
ich schon mal hier.«
»Und wie finden Sie es?«
»Ganz nett, es wirkt nicht so
verkrampft, wie ich vor meinem ersten Speed-Dating noch befürchtet
hatte. Und Sie? Waren Sie auch schon mal bei so einer
Veranstaltung?«
»Nein, das habe ich …« er machte
eine kleine Pause, » … das habe ich mich bisher noch nicht getraut.
Meine Frau ist vor knapp zwei Jahren gestorben …«
»Oh, das tut mir leid!«
»Danke, nett von Ihnen. Aber ich bin
jetzt darüber hinweg. Hoffe ich wenigstens. Das hat ziemlich lange
gedauert, bis ich mich wieder unter die Menschen getraut habe
…«
*
Vera mit ihrer großen
Menschenkenntnis, die sie sich im Laufe der Jahre erworben hatte,
bemerkte sofort das Missverhältnis zwischen seiner Aussage und
seiner Körpersprache. Nein, seine Trauer war mit Sicherheit noch
nicht zu Ende. Sie hatte ihn noch immer fest im Griff. Vielleicht
suchte er hier jemanden, der vielleicht ein gleiches Schicksal wie
er hinter sich hatte. Eines wusste Vera aber ganz sicher. Sein
augenblickliches Gegenüber würde es nicht sein.
So dümpelte das Gespräch in den
folgenden Minuten dahin und Vera war froh, als der Wecker klingelte
und so eine neue Runde einläutete.
*
Im Gegensatz zum vorangegangenen
Plausch versprach das neue Gespräch reizvoller zu werden. Vera
kannte den jungen, noch nicht ganz 30-jährigen, gut aussehenden
jungen Mann, der vor längerer Zeit schon zwei Mal teilgenommen
hatte. Sein Äußeres war lässig und in sich auch durchaus stimmig.
Aber sein gesamtes Auftreten wirkte arrogant und selbstverliebt.
Frei nach dem Motto: Wer kann mir widerstehen? Bitte hinten
anstellen. Und immer schön der Reihe nach …
Da bin ich mir aber ziemlich sicher,
dass ihm jetzt der Groschen gewechselt wird, dachte Vera bei sich
und konzentrierte sich auf das gerade begonnene
Zwiegespräch.
*
»Na, hast du schon die Angel
ausgeworfen?« begann er, nachdem Robert Marx sich Sandra mit
»Robert, meine Freunde nennen mich Bob« vorgestellt hatte. »Nein
Robert, ich wollte erst einmal das Gespräch mit dir abwarten«,
konterte Sandra seinen Macho-Spruch mit deutlich ironischem
Unterton, den er aber nicht wahrnahm.
»Das lässt ja hoffen, Sandy. Ich
darf doch Sandy sagen, oder?«
»Also ganz ehrlich, Sandra ist mir
lieber. Sandy klingt so billig, verstehst du?«
Nein. Er verstand natürlich nicht.
Für Zwischentöne hatte er nicht das richtige Ohr. Und so stürzte er
unaufhaltsam in den Abgrund, der sich vor ihm auftat. »Also ich hab
mal eine Sandy gekannt, die war eine echte Granate!« Und um seiner
Aussage das nötige Gewicht zu verleihen, wippte er vor seinem
Brustkorb zwei-, dreimal mit seinen geöffneten Händen, als wöge er
Melonen, und stierte Sandra dabei ohne jedes Schamgefühl auf die
Brüste, die sich unter ihrem hellbraunen Kaschmir-Pullover wölbten.
Sie ignorierte seine Gesten sowie seinen Blick und
konterte.
»Ach wirklich? Und du meinst, das
ist Grund genug, mich auch Sandy zu
nennen?«
»Versteh mich nicht falsch! Die
hatte auch was in der Birne!«
»Und das hat dich nicht
gestört?«
»Wie, das kapier ich jetzt nicht.
Wie meinst du das denn?«
»Also man sagt doch, dass das eher
stört beim …«
»Du meinst beim Poppen?«
»So hätte ich es zwar nicht gesagt,
aber …«
»Weißt du was, Sandy, äh, ich meine
Sandra. Du bist echt okay. Mit dir kann man sich echt gut
unterhalten. Und wenn ich deine Figur so betrachte, dann
wahrscheinlich auch noch ganz andere Sachen mit dir
machen!«
»Heißt das, aus uns könnte
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