Gaelen Foley - Amantea - 01
regt zu sein, und einige Leute traten beiseite. Lazar schlug das Herz schneller, da er beinahe erwartete, sogleich seinen Vater mit einer Eskorte heranreiten zu sehen.
Er hörte jemand sagen, dass der Bischof kam.
Lazar wollte gerade weitergehen, als eine der alten Frauen aufgeregt rief: „Beatrice, schau! Dort beim ehrwür- digen Vater Vincenzo ist die Tochter des Gouverneurs. So ein hinreißendes, gutherziges Mädchen. Sie erinnert mich an mich selbst, als ich zwanzig war.“
Diese Bemerkung ließ Lazar innehalten. Langsam ließ er den Blick zu der jungen Frau schweifen, um auf den morgigen Tag vorbereitet zu sein.
Als er sie sah, sank ihm der Mut.
Allegra Monteverdi wirkte wie ein Diamant in einem Steinhaufen. Jetzt beugte sie sich nach unten, um mit ei- ner Gruppe Bauernkinder zu plaudern. Ihr weißes, hoch tailliertes Kleid war aus einem zarten, duftigen Stoff und umhüllte ihre schlanke, anmutige Gestalt. Das kastanien- braune Haar war nach oben gesteckt. Als er sie betrach- tete, lachte sie auf einmal laut, da anscheinend eines der Kinder etwas Lustiges gesagt hatte.
Er schaute woandershin, denn seltsamerweise klopfte sein Herz heftig. Einen Moment lang schloss er die Augen und hörte ihr glockenhelles Lachen.
Sie ist hübsch. Dennoch, sie war eine Monteverdi.
Ihm kam in den Sinn, dass sie ihm auch sehr nützlich sein konnte, um in einen der Türme zu gelangen. Über- haupt wäre sie als Geisel ausgesprochen wertvoll für ihn. Niemand würde es wagen, sich ihm in den Weg zu stellen, wenn er sie in seiner Gewalt hätte.
Mit leicht zusammengekniffenen Augen beobachtete er, wie sie sich frei durch die Menge bewegte. Er musste sich nur unauffällig neben sie stellen und sie davon über- zeugen, mit ihm zu kommen – entweder mit sanften Wor- ten oder mit Hilfe von Waffen, je nachdem, was nötig war.
Doch anstatt ihr sogleich zu folgen, blieb er unentschlos- sen stehen. Er wollte ihr nichts antun.
Nicht einmal sprechen mochte er mit ihr. Auch wider- strebte es ihm, herauszufinden, welche Farbe ihre Augen hatten, welchen Duft sie bevorzugte. Er wollte überhaupt nicht in ihre Nähe kommen.
Noch nie hatte er eine Frau umgebracht. In Wahrheit hatte er es sich zur Regel gemacht, niemals vor den Au- gen einer Frau jemand zu töten. Lazar vermochte sich
keine schlimmere Sünde vorzustellen, als eines jener We- sen zu vernichten, deren wunderbare Körper neues Leben schaffen konnten. Doch nun verlangte es seine Pflicht von ihm.
Er war hierher gekommen, um sich an Ottavio Monte- verdi zu rächen. Die Bestrafung des Verräters würde erst dann vollkommen sein, wenn er dabei zusah, wie ein un- schuldiges Familienmitglied abgeschlachtet wurde, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Diese Qualen musste er erdulden, deshalb würde seine Tochter sterben.
Als er sah, wie ein Trupp Soldaten aus der Richtung kam, wo er den bewusstlosen Mann zurückgelassen hatte, wurde ihm klar, dass er sich schnell entscheiden musste. Denn sonst würde er Monteverdis Gefolgsleuten gegen- überstehen. Wenn Lazar gefangen genommen wurde, ris- kierte er nicht nur sein eigenes, sondern das Leben der vielen treuen Männer, die vor den Toren der Stadt auf ihn warteten.
Nein, dachte er. Es würde schrecklich werden, aber er musste der Vernunft folgen. Allegra Monteverdi würde sein menschlicher Schild werden.
Entschlossen begann er, ihr durch die Menge zu folgen. Er hielt sich in sicherer Entfernung und schaute sich erst einmal nach Monteverdis Getreuen um, die ihr sicher- lich zu ihrem Schutz folgten. O nein. Anscheinend wurde Allegra Monteverdi von keiner Leibgarde begleitet.
Interessant.
Während er ihr folgte, entschied er sich, seitlich von hinten auf sie zuzugehen. Unverwandt blickte er über die Köpfe der Bauern und der Städter zu Allegra hin. Er sah, wie sie die Kinder stehen ließ und von Zeit zu Zeit mit verschiedenen Leuten sprach.
Alle schienen sie zu mögen – eine Tatsache, die er er- staunlich fand, da die Leute von Amantea ihren Vater, den hinterhältigen Diktator, geradezu hassten.
Lazar kam immer näher und beobachtete, wie sie zu dem Springbrunnen in der Mitte der Piazza eilte. Ihr Haar schimmerte im Licht der bunten Laternen. Als sie sich seit- wärts drehte und die Hand unter den Wasserstrahl hielt, sah er sie im Profil.
Sie befeuchtete den grazilen Nacken mit den nassen Fin- gern, um sich zu erfrischen. Einen Moment lang legte sie
den Kopf zurück und schloss die Augen, um das Wasser auf ihrer Haut in der
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