Gaelen Foley - Knight 07
Riva- len aus seinem Revier zu vertreiben, denn für die großen Raub- tiere hatte die Stunde der Jagd begonnen.
Der laute Widerhall dieses Schreis vertrieb endgültig Edens Träume vom Londoner Glanz, und nichts blieb übrig als das, was den Anstoß dazu gegeben hatte – ein zerknittertes, vergilb- tes Exemplar eines Modemagazins vom vergangenen Jahr – La Belle Assemblée –, das ihre liebe Cousine Amelia ihr den ganzen weiten Weg von England hierher geschickt hatte.
Dennoch blieb ihr das Gefühl, dass Gefahr drohte.
Unbehaglich blickte sie sich um. Ihre vom Leben im Regen- wald geschärften Instinkte waren in Alarmbereitschaft. Mit ei- ner Hand tastete sie nach der Pistole, die immer in ihrer Nähe lag.
Und dann hörte sie es. Ein leises Zischen, viel zu nah über ih- rem Kopf.
Als sie nach oben blickte, sah sie sich dem kalten, perlen- artigen Auge einer drei Meter langen Fer de Lance gegenüber. Die Zähne funkelten, als die tödliche Schlange in ihre Richtung züngelte, um sie zu wittern. Langsam wich Eden zurück, wagte nicht, irgendeine plötzliche Bewegung zu machen.
Auf der Suche nach warmblütigen Opfern schien die große Schlange den Schlag ihres klopfenden Herzens zu spüren. Diese Tierart wagte sich oft in menschliche Ansiedlungen vor. Men- schen hinterließen Brosamen, die Brosamen lockten Mäuse an, und die Mäuse brachten die Fer de Lance mit, eine für ihre Bös- artigkeit berüchtigte Vipernart, von der bekannt war, dass sie auf den geringsten Reiz hin angriff.
Ihr Biss brachte den Tod.
Dünn und geschmeidig war sie lautlos in das Dachgebälk des Hauses geglitten. Dann musste sie sich auf die Suche nach ei- nem leckeren Nagetier als Vorspeise gemacht haben, denn im Augenblick hatte sich die Schlange um den Balken gewickelt, an dem die Hängematte befestigt war, und betrachtete sie, als fragte sie sich, wie Eden wohl schmecken würde.
Es erstaunte sie, dass sich die Schlange mit ihren nadelspitzen Zähnen einen Weg durch das Moskitonetz gebissen hatte, Zähne, deren Gift selbst einen kräftigen Mann innerhalb einer halben
Stunde tötete. Eden hatte gesehen, wie so etwas geschah, und es war kein schöner Tod gewesen.
Als die Fer de Lance ihren glatten Hals in die verdächtige S- Form brachte, blieb Eden noch etwa eine Sekunde, dann stieß das Reptil vor – mit einer einzigen peitschenartigen Bewegung und blitzenden Zähnen.
Eden ließ sich rücklings auf ihre Hängematte fallen, hob die Pistole und schoss.
Dann stieß sie einen Schrei des Entsetzens aus, als der Kopf der Schlange genau in die Mitte ihrer kostbaren Zeitschrift plumpste.
„Verdammtes ...“, begann sie, dann besann sie sich und formte die restlichen Worte des Fluchs nur mit den Lippen, denn vor- nehme Londoner Damen fluchten nicht laut. Aber trotzdem!
Die verflixte Zeitschrift hatte ein verdammtes Jahr gebraucht und war über Jamaika gekommen, ehe sie sie erreichte. Wie be- nommen rollte sich Eden aus ihrer Hängematte und betrachtete mit finsterer Miene den Schlangenkopf mit dem offenen Maul, der jetzt das elegante Magazin verschandelte. Sie warf sich den langen kastanienbraunen Zopf über die Schulter, schob das Moskitonetz beiseite und trat ein Stück zurück, um diese letzte Begegnung mit dem Tod leichter abschütteln zu können.
„Alles in Ordnung, Liebes?“, rief Dr. Victor Farraday, ihr Va- ter, beiläufig aus seinem Arbeitszelt herüber, das auf der gegen- überliegenden Seite des Forschungslagers stand, tief im feuch- ten grünen Herzen des Orinocodeltas in Venezuela.
Eden warf einen flüchtigen Blick in seine Richtung. „Alles in Ordnung, Vater!“, antwortete sie und steckte mit zitternden Händen die Waffe weg. Himmel, ich kann es nicht erwarten, von hier wegzukommen.
Mit einer Grimasse hob sie die Zeitschrift hoch und hielt sie wie ein Tablett vor sich, den Kopf der toten Schlange darauf ge- bettet, während sie tapfer zu dem Geländer ging, das über den breiten, dunklen Fluss ragte. Ohne weitere Umstände warf sie den Kopf in den Strom. Sie hörte, wie er mit einem leisen Plat- schen im Orinoco verschwand.
Zweifellos wird irgendwer ihn innerhalb von Minuten verspei- sen, dachte sie. So lautete das Gesetz des Urwalds: Fressen und gefressen werden. Als sie einen prüfenden Blick über den Fluss warf, sah sie im Schein der Laterne mehrere rote Augenpaare leuchten, dann verschwand beinah lautlos ein großer Schatten
im silbernen Mondlicht.
Eden schüttelte den Kopf. Menschenfressende Krokodile,
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