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Gänseblümchen - Mein glückliches Leben mit meinem behinderten Sohn (retail)

Gänseblümchen - Mein glückliches Leben mit meinem behinderten Sohn (retail)

Titel: Gänseblümchen - Mein glückliches Leben mit meinem behinderten Sohn (retail) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gitta Becker
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ging zur Tür.
    Gerade als sie diese erreichte, war es soweit.
    „Er ist da!“, rief ich ihr zu.
    „Wer?“
    „Na, der Anfall!“
    Da drehte sie sich um und schien völlig entgeistert über das, was sie sah. Nie wieder zweifelte sie an meinen Worten und was sie sympathisch machte: Sie gab sogar zu, sich geirrt und mich als eine hysterische Mutter abgestempelt zu haben. Sie wies uns, da es der dritte große Anfall an einem Tag war, umgehend in die Kinderklinik ein.

DA SCHLURFT ULLI IN UNSER LEBEN
    Dort in der Kinderklinik hatte ich die erste Begegnung mit jenem Arzt, dem ich später mein uneingeschränktes Vertrauen schenkte, mit Ulli. Sie verlief nicht so, wie man sich das wünscht und ich kam überhaupt nicht auf die Idee, dass wir über die Jahre auch einen privaten Kontakt aufbauen könnten, der bis heute besteht.
    Wir, der fiebernde Andreas, Dieter und ich, saßen in einem der drei oder vier Untersuchungszimmer und warteten. Ich brachte mich innerlich schon mal vorsorglich in Kampflaune. Ich hätte Andreas auf keinen Fall alleine in der Klinik gelassen. Nach einer Weile öffnete sich die Tür und ein junger Arzt, ungefähr in unserem Alter, schlurfte herein.
    „Oh Gott! Was ist das denn? Der sieht ja aus, als wäre er gerade geweckt worden! Ob der wach ist?“, schoss es mir durch den Kopf.
    Jahre später habe ich Ulli das einmal erzählt und er hat herzlich darüber lachen können. Wir haben übrigens so manche Schlachten geschlagen und für ihn sicher zeitraubende Diskussionen geführt. Aber er war immer für mich erreichbar. Er nahm uns auf der Station auf und schlug, da der Verdacht auf eine Hirnhautentzündung nahe lag, eine Lumbalpunktion vor, bei der Nervenwasser über den Rückenmarkskanal aus dem Rücken entnommen werden sollte. Das wollte ich eigentlich nicht, aber Ärzte wissen genau, wie sie den wunden Punkt einer Mutter treffen können, wenn sie deren schlechtes Gewissen kitzeln. Sie appellieren dann mehr oder weniger an die Verantwortung und was wäre, wenn man etwas versäumen würde. Es war keine große Sache, Andreas hat es gut überstanden. Das Ergebnis war negativ. Ich ärgerte mich, dass ich die Untersuchung zugelassen hatte und war erst einmal sauer auf Ulli.
    Mein Sohn und ich bezogen dann ein kleines Kabuff, Zimmer konnte man das wirklich nicht nennen. Es war so breit wie ein klappbares Gästebett und so lang, dass davor gerade noch so das Klinikkinderbett stehen konnte. Doch das war mir egal, denn ich konnte bei ihm bleiben und nur das zählte. Außerdem hatte ich hilfsbereite und nette Nachbarzimmermütter. Das war immerhin etwas.
    Andreas’ Infekt wurde behandelt. Es wurden Untersuchungen durchgeführt, die es erforderlich machten, dass er absolut stillhielt. In wachem Zustand war das bei ihm nicht möglich, also musste man ihn immer für kurze Zeit außer Gefecht setzen. Valium, das diesen Zweck erfüllen sollte, steckte er weg als sei es ein Smartie und wenn er im Zimmer eingeschlafen war, so wachte er spätestens dann wieder auf, wenn die Untersuchung beginnen sollte.
    So manchem Stationsarzt sollte im Laufe der Jahre schon allein bei dem Gedanken daran, dass Andreas sediert werden sollte, der Schweiß ausbrechen. Ich nahm das alles sehr gelassen und angesichts dessen, was andere Kinder um mich herum für Krankheiten hatten, fand ich, dass wir noch gut dran waren. Mein Kind konnte immerhin noch lachen und Faxen machen.
    Am Ende dieses Krankenhausaufenthaltes waren wir so schlau wie vorher auch schon, niemand wusste, was Andreas hatte, aber die Medikation wurde geändert, ein komplett anderes Medikament wurde eingesetzt, um die Anfälle in den Griff zu bekommen. Brav schluckte Andreas immer alles.
    Am Tag war ich stark. Aber die Nächte gehörten mir und meinen Emotionen, und Nächte in einer Klinik können lang sein. Wir Mütter versuchten, diese zu verkürzen, indem wir uns stundenlang unterhielten und im Sommer auf dem Balkon saßen. Wenn alle anderen dann schlafen gegangen waren und ich immer noch nicht müde war, sah ich manchmal den Nachtschwestern bei ihrer Arbeit zu. Das verkürzte die Nächte, reduzierte die Zeit, in der ich hätte nachdenken können.
    Nach ungefähr sechs Wochen wurden wir schließlich entlassen.

FAMILIENBEICHTE
    Unsere Familien haben uns jede nur erdenkliche Unterstützung zukommen lassen. Als Andreas in diesem Sommer stationär aufgenommen wurde und sein Papa dienstlich auf Reisen ging, bot meine Schwiegermutter an, zu mir nach Erlangen zu kommen,

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