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Gänseblümchen - Mein glückliches Leben mit meinem behinderten Sohn (retail)

Gänseblümchen - Mein glückliches Leben mit meinem behinderten Sohn (retail)

Titel: Gänseblümchen - Mein glückliches Leben mit meinem behinderten Sohn (retail) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gitta Becker
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jetzt? Jetzt stand er einfach auf und lief, und zwar so, als würde er das schon immer tun. Mir wurde klar, dass sein Scheitern vorher eine Nebenwirkung des Medikaments gewesen sein musste.
    Es war ein unbeschreiblicher Moment, als er einfach aufstand und lief. Somit war mein Sohn ständig unterwegs und ein anderes Zeitalter brach an. Er entdeckte eine neue Welt, konnte seiner Mama schneller entwischen, konnte Fangen mit ihr spielen, auch wenn sie es gar nicht wollte. Er hatte eine unglaubliche Beschleunigung, ich schätze mal, er war in Weltrekordzeiten von Null auf Hundert. Andreas entwickelte eine unnachahmliche Art zu laufen und zu rennen: Den Oberkörper bog er so nach vorne, als müsste er gegen Orkanböen ankämpfen. Jeder andere wäre da unweigerlich umgekippt. Er nicht, er war so ausgelotet.
    Eine weitere Entwicklungsverzögerung hatte Andreas beim Sprechen lernen. Außer Mama, Papa, Oma, Opa und dada war da nicht sehr viel. Auch hier beendeten die richtigen Medikamente diesen Zustand und Andreas sprach sofort in relativ vollständigen Sätzen. Schimpfwörter, von denen wir dachten, er könnte uns diese niemals nachsprechen, plapperte er mit einer unglaublichen Leichtigkeit nach.
    Bei all seinen vergeblichen Versuchen zu laufen oder zu sprechen behielt er immer sein Lachen und seine Fröhlichkeit. Er war ein Vollprofi-Clown, der mich auch in den schwersten Stunden immer zum Lachen brachte. Er fand diese eine Blume auf einer Wiese, die der Herbst extra für ihn übrig gelassen hatte. Niemals machte er den Eindruck, unzufrieden zu sein.
    Er war einfach ein süßes Baby und Kleinkind.

SOMMER 1981
    Zurück zu diesem ersten Jahr nach Andreas’ erstem Anfall. Auf Anraten der Klinik in Ludwigshafen sollten wir mit der Poliklinik Erlangen Kontakt aufnehmen, um die Behandlung dort fortzusetzen. Meine Kinderärztin legte ein gutes Wort für uns ein und nach wenigen Wochen hatte ich meinen ersten Termin in der Sprechstunde.
    Damals war es so, dass die Ärzte während ihrer Facharztausbildung auch die Sprechstunden in der Poliklinik abhalten mussten. So kam es, dass man in relativ kurzer Zeit eine Vielzahl von Ärzten vor sich haben konnte, wenn man zur Sprechstunde kam. Aus Zeitmangel ließen sich die Ärzte jedes Mal die komplette Krankengeschichte erzählen, anstatt einen Blick in die Akte zu werfen. Ich fand es anstrengend, bei jedem Termin alles von vorne zu erzählen und ging dazu über, die Ärzte aufzufordern, vor mir nachzulesen, was sie wissen wollten. Dazu kamen endlos lange Wartezeiten. Es ist völlig egal, welche Krankheit die Kinder haben, zwei bis drei Stunden irgendwo herumzusitzen tolerieren sie genauso wenig wie ihre Eltern.
    Die Wartezeit zog sich unerträglich in die Länge, alle Kinder in dem Raum fingen – gelinde gesagt – an zu quengeln. Es wurde schließlich ein EEG gemacht, das zu diesem Zeitpunkt noch keine größeren Auffälligkeiten zeigte.
    Im Laufe seines Lebens wurden unzählige EEGs bei Andreas gemacht. Die interessantesten waren für mich solche, die keine erhöhte Anfallsbereitschaft zeigten, mein Sohn aber gleich nachdem die Elektroden abgenommen wurden, einen Anfall bekam.
    Die verordnete Dosis des Medikaments, das er in Ludwigshafen verordnet bekommen hatte, fand man geradezu lächerlich und erhöhte kräftig, getreu dem Motto: Was uns nicht umbringt, macht uns stärker. Der Effekt dieser Erhöhung war gleich Null.
    Wir besuchten die Ambulanz ein zweites Mal, da das Medikament in seiner Dosierung noch nicht ausgereizt war. Sie erhöhten nochmals, mit dem gleichen Erfolg: Andreas hatte weiterhin Anfälle und je höher die Dosis wurde, desto zappeliger schien er mir zu sein.
    Inzwischen war es Sommer geworden. Wenn Andreas’ Papa nicht unterwegs war, lebten wir in Erlangen, ansonsten besuchten wir recht häufig die Großeltern in Ludwigshafen.
    Mein Mann stand vor einem neuen Auslandseinsatz und sollte sich in gut einer Woche auf den Weg in eines der arabischen Länder machen. Andreas bekam einen Infekt und wir gingen mit ihm zu seiner Kinderärztin. Wir waren die letzten Patienten an diesem Tag. Er hatte, was äußerst ungewöhnlich war, an diesem Tag bereits zwei große Anfälle gehabt. Sie untersuchte Andreas und bezweifelte, dass er schon zwei Anfälle gehabt haben sollte. Als sie aus dem Raum gehen wollte, sagte ich zu ihr: „Wenn Sie jetzt da bleiben, dann sehen Sie gleich einen Anfall.“
    „Nein, das sieht gar nicht danach aus“, gab sie zur Antwort, drehte sich um und

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