Gänseblümchen - Mein glückliches Leben mit meinem behinderten Sohn (retail)
„Wann-werden-Sie-endlich-akzeptieren-können-dass-Ihr-Sohn-Epileptiker-ist-und-sonst-nichts-hat-Blick“ anschaute und einem gequälten Seufzen in der Stimme. Er war einer dieser Koryphäen in Weiß, dessen menschliche Seite seinem Gottkomplex weichen musste. In den Genuss seiner Fachkompetenz kam ich nie, im Gegenteil.
Am folgenden Tag wurde eine Sonografie bei Andreas durchgeführt, so gut das bei einem zappelnden Kind möglich war. Ich holte alle nur erdenkbaren Tricks aus den tiefsten Ecken der Trickkiste. Irgendwie habe ich es geschafft und Andreas ließ das Kitzeln auf seinem Bauch zu. Auf seiner linken Niere war etwas zu sehen, was da nicht hingehörte. Man vermutete eine Zyste, woraufhin am Abend ein Urologe in unser Zimmer geschneit kam, der Andreas’ Bauch derart brutal abtastete, dass die Niere eigentlich mitsamt der Zyste hätte Reißaus nehmen müssen. Andreas reagierte entsprechend mit Empörung und Geschrei. Der Urologe, eigentlich ein geduldiger, netter Mann, riet, seine Nieren zu röntgen. Klar, dass ich meine Zustimmung gab.
Die Schwestern waren es gewohnt, dass ich zu jeder Untersuchung mitging. Als ich es dieses Mal ablehnte, sah mich die Stationsschwester erstaunt an.
„Sie gehen morgen nicht mit zum Röntgen?“
„Nein, ich gehe nicht mit.“
Dabei schon konnte ich mir ein leichtes Grinsen nicht verkneifen.
„Ist das ein Scherz?“, fragte sie vorsichtig nach.
„Nein, das ist kein Scherz. Ich scherze nicht mit so was“, grinste ich noch ein wenig breiter und plötzlich, als sie in mein Gesicht schaute, wusste sie warum.
„Ist nicht Ihr Ernst. Sie sind schwanger?“
Ich nickte.
„Doch, das ist mein Ernst, ich bin schwanger.“
Sie freute sich mit mir und es war keine Frage, dass diese Neuigkeit wie ein Lauffeuer über die Station fegte. Fortan musste mein Andreas zumindest diesen Weg ohne mich gehen.
Am Abend, als Andreas schlief, fuhr ich zu meiner Freundin, um zu duschen, etwas Ordentliches zu essen und einfach nur zu reden. Die Krankenhauskantine, die auch uns Müttern zur Verfügung stand, war alles andere als toll. Alle zwei Wochen wiederholten sich mittags die Speisekarten und immer am Ende der Woche gab es Suppe à la „Ich-schau-was-so-in-der-Küche-liegt“.
Bei meiner Freundin war ich unruhig.
„Was ist los?“, fragte sie mich.
„Ich weiß auch nicht, irgendwie habe ich ein ungutes Gefühl.“
„Entspann dich, es ist alles in Ordnung. Du wirst sehen, Andreas schläft bestimmt, wenn du nachher in die Klinik kommst.“
Ich konnte nicht anders. Ich fuhr so wie ich war, mit nassen Haaren – es war Ende Januar und ziemlich kalt – zurück in die Klinik. Als ich oben aus dem Aufzug stieg traf ich die Nachtschwester auf dem Weg zu Andreas.
„Gut, dass Sie da sind. Andreas hat ziemlich hohes Fieber und Anfälle bekommen. Der Arzt war auch schon da.“
Ich gab keine Antwort und ging an ihr vorbei zu Andreas in unser Zimmer. Mein Kind glühte und zeigte deutliche Anfallsbereitschaft, aber er erkannte mich und lächelte mich gequält an. Die Nachtschwester hatte ihm ein Zäpfchen gegeben und Bauchwickel angelegt, um das Fieber zu senken, der Arzt hatte ein starkes Medikament gespritzt, um die Anfälle zu unterbinden. Nichts half. Mein Kind glühte, zuckte, bereit, gleich einen weiteren großen generalisierten Anfall zu zeigen. Egal welche Maßnahmen der Arzt ergriff, was die Schwester, eine ganz Liebe, die durch Stethoskope ein wenig schlecht hörte, an Hausmitteln einsetzte, nichts half. Langsam hatte ich das Gefühl, dass eine eisige Hand nach meinem Herzen griff.
„Ist er ihr einziges Kind?“, hörte ich aus der Ferne den Arzt fragen.
Warum fragte er das?
„Ja, er ist mein einziges Kind, mein zweites Kind trage ich gerade bei mir“, gab ich ihm zur Antwort.
Die Nachtschwester machte ihn darauf aufmerksam, dass Andreas unter dem Verdacht stand, Bluthochdruck zu haben, zumindest aber sei seit er in der Klinik ist ein erhöhter Blutdruck beobachtet worden. Sie maß diesen dann und da sie eben ein klitzekleinwenig schlecht hörte traute sie ihren Ohren nicht und ließ den Arzt die Messung wiederholen. Andreas’ Werte waren ziemlich hoch. So hoch, dass er, nachdem weder das Fieber sank noch die Anfälle in den Griff zu bekommen waren, kurze Zeit später auf die Intensivstation verlegt wurde. Ich ging nicht mit, in diesem Moment dachte ich an das Baby, das ich in mir trug und das ich auf keinen Fall verlieren wollte. Es muss gegen drei Uhr gewesen sein,
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